3. Frostiges Klima
Ehrlichgesagt, war ich gar nicht durstig und doch entschied ich mich, diese Nacht jagen zu gehen. Ein kleiner Versuch der Vorbeugung, obwohl ich wusste, dass es ungenügend sein würde.
Carlisle begleitete mich; seit ich aus Denali zurückgekehrt war, waren wir nicht mehr allein miteinander gewesen. Während wir durch den dunklen Wald rannten, hörte ich, wie er über meinen abrupten Aufbruch letzte Woche nachdachte.
In seinen Gedanken sah ich wie meine Gesichtszüge in grimmiger Verzweiflung verzogen waren. Ich fühlte seine Überraschung und seine aufkeimende Sorgen.
„Edward?“
„Ich muss weg Carlisle. Ich muss sofort gehen.“
„Was ist passiert?“
„Nichts. Noch nicht. Aber es wird etwas passieren, wenn ich bleibe.“
Er streckte sich nach meinem Arm aus. Ich fühlte wie es ihn verletzt hatte, als ich ihm meinem Arm entzog.
„Das verstehe ich nicht.“
„Hast du jemals… gab es mal eine Zeit in der…“
Ich sah, wie ich tief durchatmete, sah das wilde Flackern in meinen Augen durch den Filter seiner tiefen Besorgnis.
„Hat irgendein Mensch jemals besser für dich gerochen als die anderen? Viel besser?“
„Oh.“
Als ich merkte, dass er verstanden hatte, zeichnete sich Scham in meinem Gesicht ab. Er streckte wieder seinen Arm nach mir aus, diesmal ignorierte er, dass ich zurückzuckte und ließ seine Hand auf meiner Schulter liegen.
„Tu was immer du für nötig halst um zu wiederstehen mein Sohn. Ich werde dich vermissen. Hier, nimm meinen Wagen. Er ist schneller.“
Jetzt fragte er sich, ob es richtig gewesen war, mich wegzuschicken. Fragte sich, ob er mich verletzt hatte durch sein geringes Vertrauen.
„Nein,“ flüsterte ich beim Rennen. „Das war es, was ich brauchte. Ich hätte dein Vertrauen zu leicht missbrauchen können, wenn du mir gesagt hättest, dass ich bleiben soll.“
„Es tut mir leid, dass du leidest, Edward. Aber du solltest alles in deiner Macht stehende tun um das Swan-Kind am Leben zu lassen. Auch wenn das bedeutet, dass du uns wieder verlassen musst.“
„Ich weiß, ich weiß.“
„Warum bist du zurückgekommen? Du weißt, wie glücklich es mich macht, dich hier zu haben, aber wenn es so schwer für dich ist…“
„Ich wollte kein Feigling sein,“ gab ich zu.
Wir wurden langsamer – wir joggten mehr durch die Dunkelheit.
„Besser das, als sie der Gefahr auszusetzen. In ein oder zwei Jahren wird sie hier verschwinden.“
„Du hast recht, das weiß ich.“ Entgegen aller Vernunft, bewirkten seine Worte eher, dass ich bestrebter war zu bleiben. In ein oder zwei Jahren würde das Mädchen verschwinden…
Carlisle blieb stehen und ich auch; er wandte sich mir zu um meinen Gesichtsausdruck zu untersuchen.
Aber du wirst nicht wegrennen, oder?
Ich senkte meinen Kopf.
Bist du zu stolz, Edward? Es ist keine Schande, wenn –
„Nein, es ist nicht mein Stolz, der mich hier hält. Nicht jetzt.“
Weißt du nicht, wo du hinsollst?
Ich lachte kurz auf. „Nein, das würde mich nicht aufhalten, wenn ich mich dazu bewegen könnte, zu gehen.“
„Wir kommen selbstverständlich mit dir, wenn es das ist, was du brauchst. Du musst es nur sagen. Ihr seid immer mit uns gezogen ohne euch zu beschweren. Sie werden dir das nicht nachtragen.“
Ich hob eine Augenbraue.
Er lachte. „Ja, Rosalie vielleicht, aber sie schuldet dir was. Abgesehen davon, es ist besser für uns, jetzt so gehen, wo noch nichts passiert ist, als zu warten bis ein Leben beendet wurde.“ Am Ende des Satzes war sein Humor verflogen.
Ich runzelte die Stirn bei seinen Worten.
„Ja,“ stimmte ich ihm mit rauer Stimme zu.
Aber du wirst nicht gehen?
Ich seufzte. „Ich sollte.“
„Was hält dich hier, Edward? Ich kann es nicht sehen…“
„Ich weiß nicht, ob ich es erklären kann.“ Selbst für mich machte es keinen Sinn.
Er studierte sehr lange meinen Gesichtsausdruck.
Nein, ich verstehe es nicht. Aber ich respektiere deine Privatsphäre, wenn es dir lieber ist.
„Danke. Das ist großzügig von dir, wenn man bedenkt, dass ich niemandem Privatsphäre gebe.“ Mit einer Ausnahme. Ich gab mein bestes um das zu ändern, oder nicht?
Wir haben alle unsere Macken. Er lachte wieder. Sollen wir?
Er hatte gerade den Duft einer kleinen Rehherde aufgeschnappt. Es war schwer genug Begeisterung aufzubringen, wenn man bedenkt, dass das Aroma einem nicht gerade das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Und jetzt, wo ich die Erinnerung an den Duft des Mädchens noch frisch im Kopf hatte, drehte sich mir sogar fast der Magen um bei dem Geruch.
Ich seufzte. „Na los,“ stimmte ich zu, obwohl ich wusste, dass es kaum helfen würde, wenn ich noch mehr Blut meine Kehle hinunter zwang.
Wir nahmen beide unsere Jagdhaltung an und ließen uns von dem unappetitlichen Duft vorwärts leiten.
Als wir wieder nach Hause kamen, war es kälter geworden. Der geschmolzene Schnee war gefroren; es war als wäre alles mit einer dünnen Glasschicht überzogen – jede Tannennadel, jeder Farnwedel, jeder Grashalm war mit Eis überzogen.
Während Carlisle sich fertig machte für seine Frühschickt im Krankenhaus, blieb ich am Fluss stehen und wartete auf den Sonnenaufgang. Ich fühlte mich aufgebläht von dem vielen Blut, dass ich getrunken hatte, aber ich wusste, dass ich keinen Durst verspürte würde wenig helfen, wenn ich wieder neben dem Mädchen saß.
Kalt und regungslos wie der Stein auf dem ich saß, starrte ich auf das dunkle Wasser wie es zwischen dem Eis hindurchfloss, starrte direkt hindurch.
Carlisle hatte recht. Ich sollte Forks verlassen. Sie konnten irgendeine Geschichte verbreiten, die meine Abwesenheit erklären würde. Ein Internat in Europa. Besuch bei entfernten Verwandten. Ein jugendlicher Ausbruch von zu Hause. Die Geschichte war egal. Niemand würde nachfragen.
Es waren nur ein oder zwei Jahre, und dann würde das Mädchen verschwinden. Sie würde ihr Leben weiterleben – sie würde ein Leben haben, dass sie weiterleben konnte. Sie würde irgendwo aufs College gehen, älter werden, eine Karriere beginnen, vielleicht jemanden heiraten. Das konnte ich mir vorstellen – ich konnte das Mädchen ganz in weiß vor mir sehen, wie sie den Gang entlang schritt, den Arm unter dem ihres Vaters.
Es war seltsam, dass diese Bild schmerzen in mir auslöste. Ich verstand es nicht. War ich eifersüchtig, weil sie eine Zukunft hatte die ich nie haben konnte? Das ergab keinen Sinn. Jeder Mensch um mich herum hatte diese Möglichkeiten – ein Leben – und ich beneidete sie nicht.
Ich sollte sie ihrer Zukunft überlassen. Sollte aufhören ihr Leben zu riskieren. Das war das einzig richtige. Carlisle fand immer den richtigen Weg. Ich sollte auch jetzt auf ihn hören.
Die Sonne erhob sich hinter den Wolken und das seichte Licht glänzte auf dem gefrorenen Glas.
Nur noch ein Tag, entschied ich. Ich würde sie nur noch einmal sehen. Ich schaffte das. Vielleicht würde ich erwähnen, dass ich wegging, um die Geschichte einzuleiten.
Das würde schwieriger werden als ich gedacht hatte; weil mir die Vorstellung zu gehen wiederstrebte, fing ich jetzt schon an Entschuldigungen zu suchen um zu bleiben – um die Frist noch zwei Tage zu verlängern, drei, vier… Aber ich würde das richtige tun. Ich wusste, ich konnte Carlisles Rat vertrauen. Und ich wusste auch, dass ich zu durcheinander war um die richtige Entscheidung allein zu treffen.
Viel zu durcheinander. Wie viel von diesem Widerwillen kam von meiner zwanghaften Neugierde und wie viel von meinem ungesättigten Appetit?
Ich ging hinein um mir etwas Frisches für die Schule anzuziehen.
Alice wartete auf mich, sie saß auf der obersten Treppenstufe zur zweiten Etage.
Du gehst schon wieder weg, klagte sie.
Ich seufzte und nickte.
Ich kann nicht sehen wo du diesmal hingehst.
„Ich weiß noch nicht wo ich hingehen werde,“ flüsterte ich.
Ich möchte, dass du bleibst.
Ich schüttelte meinen Kopf.
Vielleicht können Jazz und ich mit dir kommen?
„Sie brauchen euch alle noch mehr, wenn ich nicht mehr da bin um mich für sie umzuhören. Und denk an Esme. Würdest du ihr ihre halbe Familie mit einem Schlag entreißen wollen?“
Du wirst sie so unglücklich machen.
„Ich weiß. Und deshalb musst du bleiben.“
Es ist nicht dasselbe, als wenn du hier wärst und das weißt du.
„Ja. Aber ich muss das richtige tun.“
Es gibt viele richtige Wege, und viele falsche Wege, nicht war?
Für einen kurzen Moment verschwamm sie in eine ihrer seltsamen Visionen; ich beobachtet gemeinsam mit ihr wie die unbeständigen Bilder flackerten. Ich sah mich selbst zwischen seltsamen Schatten, die ich nicht zuordnen konnte – verschleierte ungenaue Formen. Und dann, plötzlich, meine Haut wie sie in der Sonne glitzerte auf einer kleinen Lichtung. Diesen Ort kannte ich. Da war eine Person mit mir auf der Lichtung, aber wieder war es ungenau, nicht wirklich da um sie besser zu erkennen. Das Bild wackelte und verschwand als sich millionen kleiner Stückte zu einer anderen Zukunft zusammensetzten.
„Ich hab nicht viel davon verstanden,“ sagte ich ihr, als die Vision schwarz wurde.
Ich auch nicht. Deine Zukunft verändert sich sehr stark so dass ich nicht viel davon greifen kann. Aber ich denke…
Sie hielt inne und überflog ein paar andere Visionen für mich. Sie waren alle gleich – verschwommen und vage.
„Ich glaube, irgendetwas wird sich ändern,“ sagte sie laut. „Dein Leben scheint sich an einer Kreuzung zu befinden.“
Ich lachte grimmig. „Dir ist schon klar, dass du dich anhörst wie eine Wahrsagerin vom Jahrmarkt?“
Sie streckte mir ihre kleine Zunge raus.
„Heute ist alles in Ordnung, oder?“ fragte ich sie und meine Stimme klang plötzlich besorgt.
„Ich sehe nicht, dass du heute irgendjemanden töten wirst,“ versicherte sie mir.
„Danke, Alice.“
„Geh dich umziehen. Ich werde den anderen nichts sagen – du kannst ihnen selber Bescheid geben, wenn du fertig bist.“
Sie stand auf und schoss mit hängenden Schultern die Treppe hinunter. Vermiss dich wirklich.
Ja, ich würde sie auch sehr vermissen.
Es war eine ruhige Fahrt bis zur Schule. Jasper merkte, dass Alice wegen irgendetwas unglücklich war, aber er wusste, wenn sie darüber hätte sprechen wollen, dann hätte sie das bereits getan. Emmett und Rosalie hatten einen ihrer Momente, in denen sie nichts um sich herum wahrnahmen und sich nur verliebt in die Augen blickten – es war ekelhaft ihnen dabei zuzusehen. Wir waren uns alle vollkommen im Klaren darüber wie überglücklich verliebt die beiden waren. Vielleicht war ich aber auch nur verbittert, weil ich der einzige war, der alleine war. An manchen Tagen war es schwerer als an anderen mit drei perfekt zusammenpassenden Pärchen zusammenzuleben. Heute war einer dieser Tage.
Vielleicht wären sie alle glücklicher, wenn ich nicht mehr da wäre, grimmig und verbittert wie der alte Mann, der ich eigentlich mittlerweile sein sollte.
Natürlich war das erste was ich tat, als wir die Schule erreichten, nach dem Mädchen Ausschau zu halten. Nur um mich wieder vorzubereiten.
Richtig.
Es war peinlich zu sehen, dass die Welt um mich herum vollkommen leer schien und sich alles nur noch um sie drehte – meine ganze Existenz kreiste nur noch um sie, statt um mich selbst.
Dennoch war es auch irgendwie leicht zu verstehen; nach achtzig Jahren, jeden Tag und jede Nacht dasselbe wurde jede Veränderung zu etwas ganz besonderem.
Sie war noch nicht da, aber ich konnte den dröhnenden Motor ihres Trucks in der Ferne hören. Ich lehnte mich an meinen Wagen um zu warten. Alice blieb bei mir, während die anderen direkt zum Unterricht gingen. Sie waren gelangweilt von meiner Fixierung – es war unverständlich für sie wie ein Mensch mein Interesse so lange aufrecht erhalten konnte, egal wie köstlich sie roch.
Langsam fuhr das Mädchen in Sichtweite, ihre Augen auf die Straße geheftet und mit den Händen das Lenkrad umklammert. Sie schien wegen irgendetwas verängstigt zu sein. Ich brauchte eine Sekunde um zu begreifen was dieses Etwas war, zu bemerkten, dass jeder Mensch heute mit diesem Gesichtsausdruck fuhr. Die Straße war vereist und alle fuhren noch vorsichtiger als sonst. Ich konnte sehen, dass sie das erhöhte Risiko sehr ernst nahm.
Das schien zu dem bisschen zu passen, was ich bisher über ihren Charakter herausgefunden hatte. Ich fügte es meiner kleinen Liste hinzu: Sie war eine ernsthafte Person, eine verantwortungsvolle Person.
Sie parkte nicht allzu weit von mir entfernt, aber sie hatte noch nicht bemerkt, dass ich hier stand und sie beobachtete. Ich fragte mich wie sie reagieren würde, wenn sie mich bemerkte? Erröten und weitergehen? Das war meine erste Überlegung. Aber vielleicht würde sie meinen Blick erwidern. Vielleicht würde sie herkommen und mit mir reden.
Ich atmete tief eine, hoffnungsvoll, nur für den Fall.
Sie stieg vorsichtig aus dem Truck aus und prüfte die Standfestigkeit ihrer Füße bevor sie ihr Gewicht darauf abstützte. Sie schaute nicht auf, was mich frustrierte. Vielleicht würde ich rübergehen und mit ihr reden…
Nein, das wäre ein Fehler.
Anstatt in Richtung Schule zu gehen, lief sie um ihren Truck herum, hangelte sich vorsichtig an ihm entlang als würde sie ihren Füßen nicht trauen. Es brachte mich zum lächeln, und ich spürte Alices Augen auf meinem Gesicht ruhen. Ich hörte nicht was auch immer sie sich dabei dachte – es amüsierte mich zu sehr, zu beobachten wie das Mädchen ihre Schneeketten überprüfte. So wie ihre Füße herum schlingerten schien sie ernsthaft in Gefahr zu sein hinzufallen. Niemand sonst hatte so viele Probleme – hatte sie an einer besonders eisigen Stelle geparkt?
Sie hielt für einen kurzen Moment inne und ihr Gesicht bekam einen seltsamen Ausdruck. Es war… weich? Als ob irgendetwas an den Ketten sie… rührte?
Und wieder schmerzte die Neugierde in mir wie der Durst. Es war als müsste ich wissen was sie denkt – als ob alles andere unwichtig wäre.
Ich würde zu ihr gehen und mit ihr reden. Sie sah sowieso danach aus, als könnte sie eine helfende Hand gebrauchen, zumindest bis sie von dem glatten Parkplatz runter war. Das konnte ich ihr selbstverständlich anbieten, oder nicht? Ich zögerte hin und hergerissen. Bei der Abneigung die sie gegen Schnee hegte, würde sie die Berührung meiner kalten Hand sicher nicht willkommen heißen. Ich hätte Handschuhe anziehen sollen –
„NEIN!“ schrie Alice laut auf.
Instinktiv durchforstete ich ihre Gedanken in dem Glauben ich hätte eine schlechte Entscheidung getroffen und sie sähe wie ich etwas Unverzeihliches tat. Aber es hatte nichts mit mir zu tun.
Tyler Crowley hatte sich entschieden, die Kurve auf den Parkplatz etwas zu schnell zu nehmen. Diese Entscheidung brachte ihn auf dem rutschigen Eis zum schliddern…
Die Vision kam nur eine halbe Sekunde bevor sie eintrat. Tylers Van schoss um die Ecke während ich immer noch das Ende der Vision beobachtet, das Alice zu diesem ängstlichen Aufschrei bewogen hatte.
Nein, diese Vision hatte nichts mit mir zu tun, und doch hatte es alles mit mir zu tun, denn Tylers van – die Reifen trafen nun in dem schlechtmöglichsten Winkel auf das Eis – würde über den Parkplatz rutschen und das Mädchen zerquetschen, das ungewollt zum Mittelpunkt meiner Welt geworden war.
Auch ohne Alices Vorhersage war es leicht zu erkennen, welchen Bahn der Wagen, über den Tyler gerade die Kontrolle verlor einschlagen würde.
Das Mädchen, das genau am falschen Platz neben ihrem Truck stand, sah auf, irritiert von dem Geräusch der quietschenden Reifen. Sie sah direkt in meine geschockten Augen um dann direkt in ihren nahenden Tod zu blicken.
Nicht sie! Die Worte schrien in meinem Kopf als ob sie zu jemand anderem gehörten.
Immer noch gefangen in Alices Gedanken, sah ich wie die Vision sich veränderte, aber ich hatte keine Zeit mir den Ausgang anzusehen.
Ich schoss über den Platz und warf mich zwischen den heran rutschenden Van und das vor Schock gefrorene Mädchen. Ich bewegte mich so schnell, dass alles um mich herum verschwamm außer dem Objekt in meinem Blickfeld. Sie sah mich nicht – kein menschliches Auge hätte meinem Flug folgen können – und starrte immer noch auf das massige Gefährt dass ihren Körper gleich in den Metall Rahmen ihres Trucks quetschen würde.
Ich packte sie um die Taille und warf sie mit einer solchen Eile um, dass ich nicht mal annähernd so behutsam mit ihr umging, wie ich es hätte tun müssen. In der hundertstel Sekunde nachdem ich sie aus der Schusslinie warf und bevor ich mit ihr in meinen Armen auf den Boden aufschlug, wurde mir bewusst, wie schwach und zerbrechlich ihr Körper war.
Als ich ihren Kopf auf das Eis aufschlagen hörte, erstarrte ich selbst auch zu Eis.
Aber ich hatte nicht mal eine Sekunde zeit um ihren Zustand zu überprüfen. Ich hörte wie der Van hinter uns sich quietschend um den eisernen Körper des Trucks wickelte. Er änderte funkensprühend seine Richtung und schlidderte erneut auf sie zu – als wäre sie ein Magnet der den Van anzog.
Ein Wort, das ich niemals in der Gegenwart einer Lady benutzt hätte, entwich mir durch meine zusammengebissenen Zähne.
Ich hatte schon zu viel getan. Als ich fast durch die Luft geflogen bin um sie aus dem Weg zu stoßen, war ich mir vollkommen bewusst, dass ich einen Fehler machte. Zu wissen, dass es ein Fehler war, konnte mich nicht aufhalten, aber das Risiko dass ich einging, war mir nicht bewusst – nicht nur für mich, sondern für meine ganze Familie.
Entlarvung.
Aber es half nichts, ich konnte dem Van nicht erlauben bei seinem zweiten Versuch ihr das Leben zu nehmen zu gewinnen.
Ich ließ sie los und streckte dem Van meine Hände entgegen bevor er sie berühren konnte. Die Wucht des Aufpralls presste meine Schulter in den Wagen der neben dem Truck stand und ich konnte spüren wie sich das Metall unter dem Druck verbog. Der Van erschauerte unter der unnachgiebigen Sperre meiner Arme und balancierte unstabil auf zwei Rädern.
Wenn ich meine Hände wegnahm, würde der Hinterreifen auf ihre Beine fallen.
Oh, verdammt noch mal, es war verflucht, würde diese Katastrophe denn nie enden? Konnte noch mehr schiefgehen? Ich konnte schlecht hier sitzen bleiben, den Van in die Luft halten und auf Rettung warten. Wegwerfen konnte ich ihn auch nicht – da war auch immer noch der Fahrer, dessen Gedanken zusammenhanglos waren vor lauter Panik.
Ich stöhnte innerlich auf und stieß den Van kurz von uns weg. Als er wieder runterfiel, fing ich ihn mit einer Hand unter der Karosserie auf und packte mit der andern wieder die Taille des Mädchens um sie näher zu mir hin und unter dem Wagen weg zu ziehen. Ihr Körper war schlaff als ich sie herum schwang um ihre Beine in Sicherheit zu bringen – war sie bewusstlos? Wie schwer hatte ich sie verletzt bei meinem improvisierten Rettungsversuch?
Jetzt wo ich sie nicht mehr verletzen konnte, ließ ich den Van fallen. Die Fenster vibrierten als er auf den Asphalt krachte.
Ich wusste, dass ich mich mitten in einer Kriese befand. Wie viel hatte sie mitbekommen? Hatte irgendein anderer Zeuge gesehen, wie ich mich aus dem Nichts neben ihr materialisiert hatte und dann mit dem Van jonglierte um sie darunter hervorzuholen? Diese Fragen sollten meine größte Sorge sein.
Aber ich war zu besorgt um mir darüber Gedanken zu machen, dass wir entlarvt werden könnten. Zu sehr von der Panik erfasst, dass ich sie bei meinem versucht sie zu schützen selbst verletzt haben könnte. Zu beängstigt da ich wusste, was ich riechen würde, wenn ich mir erlaubte einzuatmen. Mir zu sehr ihres warmen, weichen Körpers bewusst, der gegen meinen gepresst war – trotz der doppelten Hinderung unsere Jacken konnte ich diese Hitze spüren…
Die erste Sorge war die größte. Als das schreien der zeugen um uns herum ausbrach, lehnte ich mich über sie und begutachtete ihr Gesicht um zu sehen ob sie bei Bewusstsein war – hoffte inständig, dass sie nirgendwo blutete.
Ihre Augen waren weit geöffnet vor Schock.
„Bella?“ fragte ich eindringend. „Bist du in Ordnung?“
„Es geht mir gut.“ Sagte sie automatisch mit schwacher Stimme.
Erleichterung durchfuhr mich als ich den Klang ihrer Stimme hörte, der so herrlich war, dass es fast wehtat. Ich nahm einen kurzen Atemzug durch meine Zähne und der begleitende Schmerz in meiner Kehler störte mich nicht. Ich genoss ihn fast.
Sie versuchte sich aufzusetzen, aber ich war noch nicht bereit, sie loszulassen. Es fühlte sich irgendwie… sicherer an? Besser jedenfalls, sie an meiner Seite zu haben.
„Seih vorsichtig,“ warnte ich sie. „Ich glaube du hast dir deinen Kopf ziemlich heftig angeschlagen.“
Da war kein Geruch von frischem Blut – welche Erleichterung – aber das schloss noch lange keine inneren Verletzungen aus. Ich wollte sie so schnell wie möglich zu Carlisle bringen und zu einem voll ausgestatteten Radiologischen Institute.
„Au,“ sagte sie und ihre Stimme klang komischerweise überrascht, als sie merkte, dass ich recht hatte, was ihren Kopf anging.
„Das hab ich mir gedacht.“ Ich lächelte vor Erleichterung, fast schon albern.
„Wie zum Teufel…“ Ihre Stimme brach weg und ihre Lider zitterten. „Wie bist du so schnell hierhergekommen?“
Die Erleichterung wurde bitter, der Humor verschwand. Sie hatte zu viel gesehen.
Jetzt, da mir klar wurde, dass dem Mädchen nichts fehlte, wurde die Sorge um meine Familie größer.
„Ich stand direkt neben dir, Bella.“ Aus Erfahrung wusste ich, dass ich sehr überzeugend sein konnte, wenn ich log, es verunsicherte jeden Fragesteller bzgl. der Wahrheit.
Sie versuchte wieder sich aufzusetzen und diesmal ließ ich es zu. Ich musste einatmen um meine Rolle besser spielen zu können. Ich brauchte Abstand zu ihrem mit warmem Blut gefüllten Körper, damit er mich in Kombination mit ihrem Duft nicht übermannte. Ich wich so weit von ihr zurück, wie es der schmale Raum zwischen den beiden Fahrzeugen zuließ.
Sie starrte zu mir hoch und ich starrte zurück. Zuerst wegzuschauen war ein Fehler den nur ein inkompetenter Lügner begehen würde, und ich war kein inkompetenter Lügner. Mein Gesichtsausdruck war mild und freundlich… Es schien sie zu verwirren. Das war gut.
Die Unfallstelle war nun umstellt. Hauptsächlich Schüler, Kinder die versuchten durch die Wracks einen Blick auf zerquetschte Körper erhaschen zu können. Stimmengewirr und schockierte Gedanken erhoben sich. Ich durchsuchte die Gedanken um sicherzugehen, dass es noch keine Verdächtigungen gab und dann blendete ich sie aus um mich wieder auf das Mädchen zu konzentrieren.
Sie war abgelenkt von dem Durcheinander. Sie blickte sich um, ihr Gesichtsausdruck immer noch geschockt und wollte aufstehen.
Ich legte meine Hand auf ihre Schulter um sie sanft wieder auf den Boden zu drücken.
„Bleib besser noch etwas liegen.“ Sie wirkte zwar unverletzt, aber sollte sie ihren Hals schon bewegen? Wieder wünschte ich Carlisle wäre hier. Meine jahrelangen theoretischen Studien in Medizin waren kein Vergleich zu seiner Jahrhundertelangen Praxiserfahrung.
„Aber es ist kalt,“ stellte sie fest.
Sie war vor wenigen Sekunden fast zu Tode gequetscht worden und ihre einzige Sorge war die Kälte. Mir entfuhr ein kichern bevor ich mich dran erinnerte, dass die Situation nicht komisch war.
Bella blinzelte und blickte mir dann direkt ins Gesicht. „Du warst dort drüben.“
Das ernüchterte mich wieder.
Sie blickte nach Süden, obwohl dort nichts weiter zu sehen war als die verbeulte Seite des Vans. „Du warst bei deinem Auto.“
„Nein, war ich nicht.“
„Ich hab dich gesehen,“ beharrte sie; ihre Stimme wirkte kindlich, wenn sie stur war. Sie schob ihr Kinn vor.
„Bella, ich stand neben dir und hab dich beiseite gezogen.“
Ich schaute tief in ihre großen Augen um sie dazu zu bringen meine Version zu akzeptieren – die einzig akzeptable Version die zur Verfügung stand.
„Nein.“
Ich versuchte, ruhig zu bleiben, nicht in Panik zu geraten. Wenn ich sie nur wenige Augenblicke ruhig stellen könnte, um mir die Chance zu geben die Beweise zu vernichten… und um ihre Geschichte durch die Bekanntgabe ihrer Kopfverletzung zu untergraben.
Sollte es nicht leicht sein, dieses stille, geheimnisvolle Mädchen ruhig zu halten? Wenn sie mir nur vertrauen würde, nur für ein paar Augenblicke…
„Bitte, Bella,“ sagte ich, meine Stimme zu fordernd, weil ich wollte, dass sie mir vertraute. Ich wollte es ganz verzweifelt, nicht nur wegen des Unfalls. Ein dummes Verlangen. Was für einen Sinn würde es für sie machen, mir zu vertrauen?
„Warum?“ fragte sie immer noch in Verteidigungshaltung.
„Vertrau mir,“ bat ich sie.
„Versprichst du mir später alles zu erklären?“
Es machte mich wütend, dass ich sie schon wieder anlügen musste, obwohl ich mir so sehr wünschte, ich könnte ihr Vertrauen verdienen. Deshalb klang meine Erwiderung scharf.
„Gut.“
„Gut,“ sagte sie in demselben Tonfall.
Als die Rettungsaktion um uns herum begann – Erwachsene tauchten auf, Lehrer riefen, Sirenen heulten in der Ferne – versuchte ich das Mädchen zu ignorieren und meine Prioritäten zu ordnen. Ich durchsuchte alle Gedanken in der Menge, die Zeugen und die später da zugestoßenen, aber ich konnte nichts Gefährliches finden. Viele waren überrascht, mich hier mit Bella zu sehen, aber alle schlossen – da es keine andere Möglichkeit gab – dass sie einfach nicht registriert hatten, dass ich neben dem Mädchen stand, vor dem Unfall.
Sie war die einzige die die einfache Erklärung nicht akzeptierte, aber sie würde die am wenigsten glaubhafte Zeugin sein. Sie war ängstlich, traumatisiert und von der Beule an ihrem Hinterkopf ganz zu schweigen. Vielleicht stand sie unter Schock. Ihre Geschichte war annehmbar, wenn sie verwirrt war, oder nicht? Niemand würde ihr allzu viel Beachtung schenken bei so vielen anderen zeugen…
Ich zuckte zusammen, als ich die Gedanken von Rosalie, Jasper und Emmett auffing, die gerade erst am Ort des Geschehens eintrafen. Sie würden mir heute Abend die Hölle heiß machen.
Ich wollte den Abdruck den meine Schultern in dem braunen Auto hinterlassen hatte ausbügeln, aber das Mädchen war zu nah. Ich würde warten müssen, bis sie weggetragen wurde.
Es war frustrierend zu warten – so viele Augen auf mich gerichtet – als die Menschen mit dem Van kämpften um uns zu befreien. Ich hätte ihnen gern geholfen um das ganze zu beschleunigen, aber ich hatte schon genug Schwierigkeiten und das Mädchen hatte scharfe Augen. Endlich hatten sie es geschafft, den Wagen weit genug weg zu schieben, damit sie Sanitäter mir ihren Tragen zu uns durchkamen.
Ein bekanntes, besorgtes Gesicht begutachtete mich.
„Hey, Edward,“ sagte Brett Warner. Er war Pfleger und ich kannte ihn gut aus dem Krankenhaus in dem Carlisle arbeitete. Ein glücklicher Zufall – das einzige Glück heute – dass er als erster bei uns war. In Gedanken stellte er fest, dass ich gesund und ruhig aussah. „Bist du in Ordnung, Junge?“
„Alles bestens, Brett. Ich hab nichts abbekommen. Aber ich glaube, Bella könnte eine Gehirnerschütterung haben. Sie ist sehr hart mit dem Kopf aufgeschlagen, als ich sie beiseite gezogen habe…“
Brett widmete seine Aufmerksamkeit dem Mädchen, das mir einen grimmigen Blick zuwarf. Ach ja, richtig. Sie war der Stille Märtyrer – sie hätte lieber im Stillen gelitten.
Sie stritt meine Geschichte nicht sofort ab, was mich erleichterte.
Der nächste Sanitäter wollte mich nicht so einfach davon kommen lassen, aber ich hatte keine Mühe ihn davon zu überzeugen, dass es mir gut ging. Ich versprach, dass ich mich von meinem Vater untersuchen lassen würde und damit ließ er es gut sein. Den meisten Menschen musste man einfach nur mit einem Sicheren Auftreten begegnen. Den meisten Menschen, aber nicht dem Mädchen, natürlich nicht. Passte sie auf irgendeines der normalen Muster?
Als sie ihr eine Halskrause anlegten – ihr Gesicht lief rot an vor Scham – nutzte ich den Moment in dem alle abgelenkt waren um mit meinem Fuß die Delle in dem braunen Auto auszubeulen. Nur meine Geschwister merkten was ich da tat und ich hörte Emmett Versprechen in Gedanken, dass er sich um alles kümmern würde, was ich übersehen hatte.
Dankbar für seine Hilfe – und noch dankbarer dafür, dass Emmett mir meine gefährliche Wahl schon vergeben hatte – stieg ich beruhigt auf den Beifahrersitz des Krankenwagens neben Brett.
Der Polizeichef erreichte den Unfallort bevor man Bella in den hintern Teil des Krankenwagens geschoben hatte.
Zwar waren die Gedanken von Bellas Vater keine Worte, aber die Panik und die Sorge, die aus ihnen herausströmten, überlagerten alle anderen Gedanken in der Nähe. Wortlose Angst und Schuldgefühle strömten Flutartig aus ihm heraus, als er seine einzige Tochter auf die Bahre geschnallt sah.
Strömten aus ihm heraus und in mich hinein, hallten wieder und wurden stärker. Als Alice mich warnte, dass der Tod von Charlie Swans Tochter ihn auch töten würde, hatte sie nicht übertrieben.
Mein Kopf wurde schwer vor Schuldgefühlen, als ich seiner panischen Stimme lauschte.
„Bella!“ rief er.
„Es geht mir gut, Char – Dad.“ Seufzte sie. „Mir ist nichts passiert.“
Ihre Versicherung beruhigte ihren Dad kaum. Er wandte sich sofort an den nächsten Sanitäter um mehr Informationen zu bekommen.
Erst als ich ihn reden hörte, er formulierte perfekt zusammenhängende Sätze, ohne panischen Unterton, bemerkte ich, dass seine Angst und seine Sorge nicht wortlos waren. Ich konnte die genauen Worte einfach nur… nicht hören.
Hmm. Charlie Swan war nicht so still wie seine Tochter, aber ich konnte sehen wo sie es herhatte. Interessant.
Ich hatte nie viel zeit in der Nähe des örtlichen Polizeichefs verbracht. Ich hatte ihn immer für einen langsamen Denker gehalten – jetzt bemerkte ich, dass ich derjenige war, der langsam war. Seine Gedanken waren teilweise verschlossen, nicht abwesend. Ich konnte nur ihre Grundhaltung, ihren Ton ausmachen…
Ich wollte genauer zuhören um zu sehen ob ich in diesem einfacheren Puzzel den Schlüssel zu den Gedanken des Mädchens finden konnte. Aber Bella war mittlerweile im hinteren Teil des Wagens und der Krankenwagen machte sich auf den Weg zum Krankenhaus.
Es war schwer mich von der möglichen Lösung zu dem Geheimnis, dass mich verfolgte loszureißen. Aber ich musste jetzt nachdenken – ich musste die heutigen Geschehnisse aus jedem Winkel betrachten. Ich musste zuhören um herauszufinden, ob ich uns alle in so große Gefahr gebracht hatte, dass wir auf der Stelle würden abreisen müssen. Ich musste mich konzentrieren.
In den Gedanken der Sanitäter war nichts Beunruhigendes zu hören. Soweit sie es beurteilen konnten, hatte das Mädchen keine ernsthaften Verletzungen. Und Bella hielt sich an die Geschichte, die ich ihr geliefert hatte, bis jetzt jedenfalls.
Als wir das Krankenhaus erreichten, war meine erste Priorität mit Carlisle zu sprechen. Ich eilte durch die automatischen Türen, aber ich konnte nicht darauf verzichten, Bella zu beobachten; ich behielt sie durch die Gedanken der Sanitäter im Auge.
Es war leicht den bekannten Geist meines Vaters zu finden. Er war in seinem kleinen Büro, allein – der zweite Glücksfall, an diesem mit Unglück verhangenen Tag.
„Carlisle.“
Er hörte mich kommen und war sofort alarmiert als er den Ausdruck auf meinem Gesicht sah. Er sprang auf seine Füße und sein Gesicht wurde knochenbleich. Er lehnte sich über den sauber aufgeräumten Walnussschreibtisch.
Edward – du hast doch nicht –
„Nein, nein, das ist es nicht.“
Er atmete tief durch. Natürlich nicht. Tut mir leid, dass ich sowas auch nur denken konnte. Deine Augen, ich hätte es selbstverständlich wissen müssen… Er bemerkte meine immer noch goldenen Augen mit Erleichterung.
„Sie ist trotzdem verletzt, Carlisle, vermutlich nicht schwer, aber…“
„Was ist passiert?“
„Ein blöder Autounfall. Sie war zur falschen Zeit am falschen Ort. Aber ich konnte nicht einfach dastehen und zusehen – sie sterben lassen…“
Erzähl mir alles von Anfang an, ich versteh’s nicht. Wie bist du in die Sache verwickelt?
„Ein Van schlidderte über das Eis,“ flüsterte ich. Ich starrte die Wand hinter ihm an während ich sprach. Statt einer Reihe von Diplomen hatte er nur ein einfaches Ölgemälde an der Wand – eins seiner Lieblinge, ein unentdeckter Hassam. „Sie war im Weg. Alice hat es kommen sehen, aber ich hatte keine Zeit um irgendetwas anderes zu tun als über den Platz zu rennen und sie aus dem Weg zu zerren. Niemand hat etwas gesehen… abgesehen von ihr. Es… es tut mir leid, Carlisle. Ich wollte uns nicht in Gefahr bringen.“
Er umrundete den Tisch und legte seine Hand auf meine Schulter.
Du hast das richtige getan. Und es war sicher nicht leicht für dich. Ich bin stolz auf dich, Edward.
Dann konnte ich ihm in die Augen sehen. „Sie weiß dass mit mir etwas… nicht stimmt.“
„Das macht nichts. Wenn wir gehen müssen, dann gehen wir. Was hat sie gesagt?“
Ich schüttelte ein wenig frustriert meinen Kopf. „Noch nichts.“
Noch?
„Sie hält sich an meine Version der Geschehnisse – aber sie erwartet eine Erklärung.“
Er runzelte abwägend die Stirn.
„Sie hat sich den Kopf gestoßen – naja, ich bin daran schuld,“ fügte ich schnell hinzu. „Ich warf sie ziemlich hart zu Boden. Sie scheint in Ordnung zu sein, aber… ich denke nicht, dass es schwer wird, ihre Glaubhaftigkeit anzuzweifeln.“
Ich fühlte mich wie ein Verräter, als ich das sagte.
Carlisle bemerkte, dass mir das nicht gefiel. Vielleicht wird das nicht nötig sein. Lass uns sehen, was passiert, sollen wir? Es hört sich an, als hätte ich eine Patientin nach der ich sehen muss.
„Ja bitte,“ sagte ich. „Ich mach mir solche Sorgen, dass ich sie verletzt haben könnte.“
Carlisles Gesicht erhellte sich. Er glättete seine vollen Haare – nur ein paar Stufen heller als seine goldenen Augen – und lachte.
Das war wohl ein interessanter Tag für dich, nicht war? In seinen Gedanken konnte ich die Ironie erkenne und es schien ihn zu belustigen. Was für ein Rollentausch. Irgendwann während dieser Gedankenlosen Sekunde in der ich über den eisigen Parkplatz gesprintet bin, hatte ich mich vom Killer zum Beschützer entwickelt.
Ich lachte mit ihm, als ich mich daran erinnerte, dass ich mir so sicher war, dass Bella niemals mehr Schutz vor etwas brauchte, als vor mir. Aber mein Lachen war halbherzig, denn abgesehen von dem Van, entsprach das immer noch der Wahrheit.
Ich wartete allein in Carlisles Büro – eine der längsten Stunden in meinem ganzen Leben – und lauschte dem Krankenhaus voller Gedanken.
Tyler Crowley, der Fahrer des Wagens schien es schlimmer erwischt zu haben als Bella und die Aufmerksamkeit wandte sich ihm zu, während sie darauf wartete geröntgt zu werden. Carlisle hielt sich zurück und vertraute der Diagnose der Sanitäter, dass das Mädchen nicht schwer verletzt war. Das beunruhigte mich, aber ich wusste, dass er recht hatte. Ein Blick auf sein Gesicht und sie würde sofort an mich denken, an die Tatsache dass mit meiner Familie etwas nicht stimmte und das könnte sie zum Reden bringen.
Sie hatte sicher einen redseligen Gesprächspartner an ihrer Seite. Tyler war voller Schuldgefühle weil er sie fast getötet hätte und er schien das Thema nicht fallen lassen zu können. Ich konnte ihren Gesichtsausdruck durch seine Augen sehen und es war eindeutig, dass sie sich wünschte er würde damit aufhören. Wie konnte er das nicht sehen?
Als Tyler sie fragte, wie sie so schnell reagieren konnte wurde ich hellhörig.
Ich wartete atemlos, als sie zögerte.
„Ähm…“ hörte er sie sagen. Dann überlegte sie so lange, dass Tyler dachte, seine Frage hätte sie verwirrt. Schließlich sprach sie weiter. „Edward hat mich zur Seite geschoben.“
Ich atmete auf. Und dann beschleunigte sich mein Atem. Ich hatte sie noch nie zuvor meinen Namen aussprechen hören. Ich mochte den Klang – auch wenn ich ihn nur durch Tylers Gedanken hörte. Ich wollte es selbst hören…
„Edward Cullen,“ sagte sie, als Tyler nicht verstand, wen sie meinte. Ich fand mich an der Tür wieder mit der Hand am Türknauf. Das Verlangen sie zu sehen wurde immer stärker. Ich musste mich daran erinnern, vorsichtig zu sein.
„Er stand neben mir.“
„Cullen?“ Häh. Das ist komisch. „Ich hab ihn gar nicht gesehen.“ Ich hätte schwören können… „Wow, es ging alles so schnelle. Ist er okay?“
„Ich glaub schon. Er ist auch hier irgendwo, aber er musste nicht auf eine Bahre.“
Ich sah den gedankenverlorenen Ausdruck auf ihrem Gesicht, wie sich ihre Augen verengten, aber diese kleinen Veränderungen bemerkte Tyler nicht.
Sie ist hübsch, dachte er beinahe überrascht. Sogar wenn sie total fertig ist. Zwar eigentlich nicht mein Typ, aber dennoch… Ich sollte sie mal ausführen. Vielleicht heute…
Mit einem Mal war ich auf dem Flur, auf halbem Weg zur Notaufnahme, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken, was ich tat. Glücklicherweise betrat die Schwester vor mir den Raum – Bella sollte geröntgt werden. Ich lehnte mich an die Wand in einen dunklen Winkel direkt um die Ecke und versuchte mich zu fassen während sie weggerollt wurde.
Es war unwichtig, dass Tyler sie hübsch fand. Jedem würde das auffallen. Es gab keinen Grund für diese Gefühle in mir… was waren das für Gefühle? Verwirrung? Oder war ich eher wütend? Das machte alles keinen Sinn.
Ich blieb wo ich war so lange ich konnte, aber die Ungeduld obsiegte und ich nahm einen anderen Weg in Richtung Röntgenraum. Sie wurde bereits zurück zur Notaufnahme gebracht, aber ich konnte einen Blick auf ihre Röntgenbilder werfen, als die Schwester mir den Rücken zudrehte.
Es beruhigte mich zu sehen, dass es ihrem Kopf gut ging. Ich hatte sie nicht verletzte, nicht wirklich.
Carlisle erwischte mich hier.
Du siehst besser aus, kommentierte er.
Ich sah weiter geradeaus. Wir waren nicht allein, die Halle war voller Patienten und Besucher.
Ah, ja. Er heftete ihre Röntgenbilder an die Lichttafel(?), aber ich brauchte keinen zweiten Blick darauf zu werfen. Ich seh schon. Sie ist vollkommen in Ordnung. Gut gemacht, Edward.
Die Anerkennung meines Vaters weckte gemischte Gefühle in mir. Ich wäre erleichtert gewesen, wenn ich nicht gewusst hätte, dass er nicht loben würde, was ich jetzt vorhatte. Er wäre nicht begeistert, wenn er meine wahre Motivation kennen würde…
„Ich denke, ich werde jetzt mal mit ihr reden – bevor sie dich sieht,“ murmelte ich. „Verhalte mich normal, als wäre nichts gewesen. Ich werde es ausbügeln.“ Alles akzeptable Gründe.
Carlisle nickte abwesend während er immer noch auf die Röntgenbilder schaute. „Gute Idee. Hmm.“
Ich schaute nach, was sein Interesse geweckt hatte.
Schau dir all diese verheilten Prellungen an! Wie oft hat ihre Mutter sie wohl fallen lassen? Carlisle lachte über seinen Witz.
„Ich fange an zu glauben, dass das Mädchen einfach nur Pech hat. Immer zur falschen Zeit am falschen Ort.“
Forks ist sicher der falsche Ort für sie, wenn du hier bist.
Ich zuckte zusammen.
Geh schon. Bügel es aus. Ich komme jeden Moment nach.
Ich lief schnell weg und fühlte mich schuldig. Vielleicht war ich ein zu guter Lügner, wenn ich sogar Carlisle austricksen konnte.
Als ich in die Notaufnahme kam, murmelte Tyler immer noch Entschuldigungen vor sich hin. Das Mädchen versuchte seiner Reue zu entkommen indem sie so tat als würde sie schlafen. Ihre Augen waren geschlossen, aber ihr Atem war nicht gleichmäßig und hin und wieder zuckten ihre Finger ungeduldig.
Ich starrte sie lange an. Das war das letzte Mal dass ich sie sehen würde. Diese Tatsache verursachte starke Schmerzen in meiner Brust. War es weil ich es hasste ein Rätsel ungelöst zurückzulassen? Das erschien mir keine gute Erklärung zu sein.
Dann atmete ich tief durch und trat ins Sichtfeld.
Als Tyler mich sah wollte er etwas sagen, aber ich legte einen Finger an meine Lippen.
„Schläft sie?“ murmelte ich.
Bellas Augen sprangen auf und fixierten mich. Sie weiteten sich augenblicklich und wurden dann kleiner vor Ärger und Misstrauen. Ich erinnerte mich, dass ich eine Rolle zu spielen hatte, also lächelte ich sie an als wäre nichts Ungewöhnliches passiert – außer einer Beule an ihrem Kopf und ein bisschen zu viel Fantasie.
„Hey, Edward,“ sagte Tyler. „Es tut mir so leid…“
Ich hob eine Hand um sein Entschuldigung abzuwehren. „Es ist ja kein Blut vergossen worden,“ sagte ich leichthin. Ohne nachzudenken lächelte ich ein wenig zu breit über meinen kleinen Insider.
Es war erstaunlich einfach Tyler zu ignorieren, der keinen Meter von mir entfernt lag über und über mit frischem Blut bedeckt. Ich hatte nie verstanden, wie Carlisle das schaffte – das Blut seiner Patienten zu ignorieren, während er sie behandelte. Wäre die andauernde Versuchung nicht zu groß, zu gefährlich…? Aber jetzt… verstand ich es, wenn man sich nur stark genug auf etwas anderes konzentrierte, war die Versuchung gar nicht so groß.
Obwohl es frisch und offensichtlich war, Tylers Blut war nichts im Vergleich zu Bellas.
Ich hielt Abstand von ihr und setzte mich ans Fußende von Tylers Bett.
„Also, wie lautet das Urteil?“ fragte ich sie.
Sie schob ihre Unterlippe ein wenig vor. „Mit mir ist alles in Ordnung. Aber sie lassen mich nicht gehen. Wie kommt es dass du nicht auf eine Bahre geschnallt bist, wie der Rest von uns?“
Ihre Ungeduld brachte mich wieder zum lächeln.
Ich konnte Carlisle in der Halle hören.
„Alles eine Frage der Beziehungen,“ sagte ich leichthin. „Aber keine Sorge, ich bin gekommen um dich hier rauszuholen.“
Ich beobachtete ihre Reaktion genau als mein Vater den Raum betrat. Ihre Augen wurden größer und ihr Mund klappte auf vor Überraschung. Ich stöhnte innerlich auf. Ja sie hatte die Ähnlichkeit bemerkt.
„So, Miss Swan, wie fühlen sie sich?“ fragte Carlisle. Er hatte eine Art an sich mit der er jeden Patienten mühelos beruhigen konnte innerhalb weniger Augenblicke. Ich konnte nicht sagen, wie es bei Bella wirkte.
„Es geht mir gut,“ sagte sie leise.
Carlisle befestigte die Röntgenbilder an der Lichttafel über dem Bett. „Deine Röntgenaufnahmen sehen gut aus. Tut dein Kopf weh? Edward sagt, du bist ziemlich hart aufgeschlagen.“
Sie seufzte und sagte wieder, „Es geht mir gut,“ aber diesmal schwang etwas Ungeduld in ihrer Stimme mit. Dann warf sie mir einen kühlen Blick zu.
Carlisle trat näher an sie heran und tastete ihren Kopf ab, bis er die Beule unter ihren Haaren fand.
Ich wurde hinterrücks von einer Welle seltsamer Gefühle überrannt.
Ich hatte Carlisle schon tausendmal zugesehen wie er Menschen behandelte. Vor Jahren hab ich ihm sogar nebenbei geholfen – natürlich nur in Situation wo kein Blut involviert war. Es war also nichts Neues für mich, zu sehen, dass er mit dem Mädchen umging, als wäre er genauso menschlich wie sie. Ich beneidete ihn oft wegen seiner Selbstkontrolle, aber dieses Gefühl war anders. Ich beneidete ihn um mehr als nur um seine Selbstkontrolle. Ich sehnte mich nach dem Unterschied zwischen Carlisle und mir – dass er sie sanft berühren konnte, ohne angst haben zu müssen, zu wissen, dass er ihr nichts tun würde…
Sie zuckte zusammen und ich rutschte unruhig auf meinem Platz herum. Ich musste mich einen Moment konzentrieren, um meine lässige Haltung beizubehalten.
„Empfindlich?“ fragte Carlisle.
Ihr Kinn trat ein wenig hervor. „Nicht wirklich,“ sagte sie.
Ein weiterer kleiner Teil ihres Charakters offenbarte sich mir: sie war mutig. Sie mochte es nicht, Schwäche zu zeigen.
Wohlmöglich die verletzlichste Person die ich je gesehen hatte und sie wollte nicht schwach wirken. Ich konnte ein Kichern nicht unterdrücken.
Sie warf mir einen weiteren wütenden Blick zu.
„Also,“ sagte Carlisle. „Dein Vater ist im Wartezimmer – du kannst mit ihm nach Hause gehen. Aber komm wieder wenn dir schwindelig wird oder deine Sicht beeinträchtigt wird.“
Ihr Vater war hier? Ich tastete die Gedanken im überfüllten Wartezimmer ab, aber ich konnte seine feine mentale Stimme aus der Gruppe nicht herausfiltern bis sie wieder sprach, ihr Gesichtsausdruck war ängstlich.
„Kann ich nicht wieder zur Schule gehen?“
„Vielleicht solltest du es langsam angehen, heute,“ schlug Carlisle vor.
Ihre Augen wendeten sich zu mir. „Kann er wieder zur Schule gehen?“
Verhalte dich normal, bügel alles aus… ignoriere wie es sich anfühlt, wenn sie dir in die Augen blickt…
„Irgendjemand muss doch die Gute Neuigkeit überbringen, dass wir überlebt haben,“ sagte ich.
„Eigentlich,“ korrigierte mich Carlisle, „befindet sich der Großteil der Schule im Wartezimmer.“
Diesmal konnte ich mir ihre Reaktion vorstellen – ihre Aversion gegen Aufmerksamkeit. Sie enttäuschte mich nicht.
„Oh nein,“ stöhnte sie und hob die Hände vors Gesicht.
Es fühlte sich gut an richtig geraten zu haben. Ich begann sie zu verstehen…
„Möchtest du lieber noch bleiben?“ fragte Carlisle.
„Nein, nein!“ sagte sie schnell und schwang ihre Beine über die Bahre und glitt auf den Boden. Sie verlor das Gleichgewicht und stolperte in Carlisles Arme. Er fing sie auf und half ihr das Gleichgewicht wiederzufinden.
Und wieder keimte der Neid in mir auf.
„Es geht mir gut,“ sagte sie, bevor er etwas sagen konnte, ihr Wangen wieder gerötet.
Natürlich würde das Carlisle nichts ausmachen. Er ging sicher, dass sie stehen konnte und ließ sie los.
„Nimm etwas Tylenol gegen die Schmerzen,“ empfahl er.
„So schlimm tut es gar nicht weh.“
Carlisle lächelte als sie ihre Papiere unterzeichnete. „Hört sich an, als hättest du großes Glück gehabt.“
Sie drehte ihr Gesicht leicht, um mich mit eisigen Augen anzustarren. „Ich hatte Glück, dass Edward zufällig neben mir stand.“
„Oh, ja natürlich,“ stimmte Carlisle sofort zu. Er hatte dasselbe in ihrem Tonfall gehört wie ich. Sie hatte ihren Verdacht nicht als Einbildung abgeschrieben. Noch nicht.
Sie gehört dir, dachte Carlisle. Regel das wie du meinst.
„Vielen Dank auch,“ flüsterte ich schnell und leise. Kein Mensch konnte das hören. Carlisles Mundwinkel hoben sich leicht, als er den Sarkasmus bemerkte und wandte sich an Tyler. „Du musst aber wohl noch etwas länger bei uns bleiben,“ sagte er als er die Schnittwunden untersuchte, die die zersplitterte Windschutzscheibe hinterlassen hatte.
Naja, ich hatte mir die Suppe eingebrockt, da war es nur fair, dass ich sie selbst auslöffelte.
Bella kam direkt auf mich zu und hielt nicht an, bis sie unangenehm nah war. Ich erinnerte mich wie ich gehofft hatte, bevor das ganze Chaos ausgebrochen war, dass sie auf mich zukommen würde… Das hier war wie eine Verspottung dieses Wunsches.
„Kann ich kurz mal mit dir reden?“ zischte sie.
Ihr warmer Atem strich mir übers Gesicht und ich musste einen Schritt zurückweichen. Ihre Anziehungskraft hatte kein bisschen nachgelassen. Jedesmal wenn sie mir zu nahe kam, brachte es das schlechteste in mir zum Vorschein, drängende Instinkte. Gift flutete meinen Mund und mein Körper verlangte danach zuzuschlagen – sie zu packen und meine Zähne in ihren Hals zu schlagen.
Mein Geist war stärker als mein Körper, jetzt noch.
„Dein Vater wartet auf dich,“ erinnerte ich sie durch meine zusammengepressten Zähne.
Sie blinzelte kurz zu Carlisle und Tyler. Tyler achtete nicht auf uns, aber Carlisle beobachtete jeden meiner Atemzüge.
Vorsichtig, Edward.
„Ich würde gern mit dir unter vier Augen sprechen, wenn es dir nichts ausmacht,“ beharrte sie leise.
Ich wollte ihr sagen, dass es mir sehr wohl etwas ausmachte, aber ich wusste, dass ich das letzten Endes hinter mich bringen musste. Das konnte ich genauso gut jetzt tun.
Ich war so voller widersprüchlicher Gefühle, als ich aus dem Raum stolzierte und auf ihre Schritte lauschte die mir hinterher stolperten und versuchten Schritt zu halten.
Ich musste meine Show weiterspielen. Ich kannte die Rolle, die ich spielen musste – ich hatte den Charakter vor mir: Ich war der Schurke. Ich würde lügen, spotten und grausam sein.
Es ging gegen alle meine besseren Manieren – die menschlichen Manieren an die ich mich in all den Jahren gehalten hatte. Ich hatte mir noch nie so sehr das Vertrauen von jemandem gewünscht wie in diesem Augenblick in dem ich alle Gründe dafür zerstören musste.
Es machte es noch schlimmer, weil dies der letzte Eindruck war, den sie von mir bekommen würde. Dies war meine Abschiedsszene.
Ich drehte mich zu ihr um.
„Was willst du?“ fragte ich kühl.
Sie schrak zurück vor meiner Feindseligkeit. Ihre Augen waren verwirrt, der Ausdruck, der mich verfolgt hatte…
„Du schuldest mir eine Erklärung,“ sagte sie kleinlaut; ihr elfenbeinfarbenes Gesicht wurde blass.
Es war sehr anstrengend meine Stimme rau zu halten. „Ich hab dir das Leben gerettet – ich schulde dir gar nichts.“
Sie zucke zurück – es brannte wie Säure zu sehen, wie meine Worte sie verletzten.
„Du hast es versprochen,“ flüsterte sie.
„Bella, du hast dir den Kopf gestoßen, du weißt nicht, was du da redest.“
Sie schob ihr Kinn vor. „Mit meinem Kopf ist alles in Ordnung.“
Jetzt war sie wütend, was es mir leichter machte. Ich erwiderte ihren Blick und ließ mein Gesicht noch unfreundlicher wirken.
„Was willst du von mir, Bella?“
„Ich möchte die Wahrheit hören. Ich möchte wissen, warum ich für dich lüge.“
Was sie wollte, war nur fair – es frustriete mich, ihr das abschlagen zu müssen.
„Was glaubst du denn, was passiert ist?“ ich knurrte fast.
Die Worte sprudelten in einem Sturzbach aus ihr heraus. „Alles was ich weiß ist, dass du nicht in meiner Nähe warst – Tyler hat dich auch nicht gesehen, also sag mir nicht, ich hätte mir den Kopf zu hart angeschlagen. Der Van hätte uns beide zerquetscht – aber das hat er nicht, und dein Hände haben Abdrücke in seiner Seite hinterlassen – und du hast auch Abdrücke in dem anderen Auto hinterlassen, aber du bist kein bisschen verletzt – und der Van hätte meine Beine zerquetscht, aber du hast ihn hochgehalten…“ plötzlich biss sie ihre Zähen zusammen und ihr Augen glitzerten voller Tränen.
Ich starrte sie spöttisch an, aber was ich wirklich fühlte war Ehrfurcht; sie hatte alles gesehen.
„Du glaubst, ich hätte einen Van angehoben?“ fragte ich sarkastisch.
Sie antwortete mit einem kurzen nicken.
Meine Stimme wurde noch spöttischer. „Niemand wird das glauben, das ist dir klar, oder?“
Sie strengte sich an um ihre Wut zu kontrollieren. Als sie mir antwortete, sprach sie jedes Wort mit Bedacht aus. „Ich werde es niemandem erzählen.“
Sie meinte es so wie sie es sagte – das konnte ich in ihren Augen sehen. Sogar wütend und verraten, würden sie mein Geheimnis bewahren.
Warum?
Der Schock ruinierte meine sorgfältig aufgesetzte Mine für eine halbe Sekunde, dann riss ich mich wieder zusammen.
„Warum ist es dann so wichtig?“ fragte ich, darauf bedacht meine Stimme scharf klingen zu lassen.
„Es ist mir wichtig,“ sagte sie drängend. „Ich mag es nicht zu lügen – also hätte ich gern einen guten Grund warum ich lüge.“
Sie bat mich, ihr zu vertrauen. Genau wie ich wollte, dass sie mir vertraute. Aber das war eine Grenze, die ich nicht überschreiten konnte.
Meine Stimme blieb gleichgültig. „Kannst du mir nicht einfach danken und die Sache auf sich beruhen lassen?“
„Danke,“ sagte sie, tobte innerlich vor Wut und wartete.
„Du wirst es nicht auf sich beruhen lassen, oder?“
„Nein.“
„In dem Fall…“ Ich konnte ihr nicht mal die Wahrheit sagen, wenn ich es gewollt hätte… und ich wollte nicht. Mir war es lieber, sie würde ihre eigene Geschichte erzählen bevor sie erfuhr was ich war, denn nichts konnte schlimmer sein, als die Wahrheit – ich war ein lebender Alptraum, direkt von den Seiten eines Horrorromans. „Ich hoffe, du kannst mit Enttäuschungen umgehen.“
Wir starrten uns an. Es war seltsam wie liebenswert ihre Wut war. Wie ein wütendes Kätzchen, sanft und harmlos, und so nichtsahnend von ihrer eigenen Verletzbarkeit.
Sie lief rot an und biss wieder ihre Zähne zusammen. „Warum stört es dich dann?“
Diese Frage hatte ich nicht erwartet. Ich verlor die Rolle die ich spielte. Ich fühlte wie die Maske von meinem Gesicht wich und sagte ihr – dieses eine mal – die Wahrheit.
„Ich weiß es nicht.“
Ich brannte mir ihr Gesicht ein letztes Mal ein – es war immer noch wütend, das Blut immer noch in den Wangen – und dann drehte ich mich um und ließ sie stehen.