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cute mønstr: Nerd Shirts
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 Midnight Sun
Julia Cullen Offline

Volturi /Admin


Beiträge: 406

07.02.2010 22:54
2.Kapitel: Wie ein offenes Buch Antworten

2. Wie ein offenes Buch

Ich lehnte mich gegen die weiche Schneewehe und das trockene Puder verformte sich unter meinem Gewicht. Mein Körper hatte sich noch weiter abgekühlt um sich der Luft um mich herum anzupassen und die kleinen Eisstücke fühlten sich wie Samt auf meiner Haut an.
Der Himmel über mir war klar, voller leuchtender Sterne, ein schimmerndes blau an einigen Stellen, gelb an anderen. Die Sterne bildeten majestätische, verschlungene Formen in dem schwarzen Universum – ein großartiger Anblick. Ungemein schön. Oder besser, sollte ungemein schön sein. Wäre es gewesen, wenn ich in der Lage gewesen wäre es wirklich zu sehen.
Es wurde einfach nicht besser. Sechs Tage waren mittlerweile vergangen, sechs Tage versteckte ich mich bereits in der leeren Wildnis von Denali, aber ich war der Freiheit kein Stück näher gekommen seit ich zum ersten Mal ihren Duft aufgeschnappt hatte.
Wenn ich hinauf zu dem juwelenbehangenen Himmel starrte war es als wäre da eine Blockade zwischen meinen Augen und seiner Schönheit. Die Blockade war ein Gesicht, nur ein belangloses menschliches Gesicht, aber ich konnte es nicht aus meinem Kopf verbannen.
Ich hörte die sich nähernden Gedanken bevor ich die dazugehörenden Schritte hörte. Die Bewegungsgeräusche waren nur der Hauch eines Flüsterns auf dem weißen Puder.
Ich war nicht überrascht, dass Tanya mir hierher gefolgt war. Ich wusste dass sie schon einige Tage über das Gespräch das jetzt kommen würde nachgrübelte, sie schob es vor sich her, bis sie genau wusste, was sie sagen wollte.
Ungefähr sechzig Yards entfernt sprang sie in Sicht, auf die Spitze eines unter dem Schnee hervortretenden schwarzen Felsens und balancierte dort auf den Ballen ihrer nackten Füße.
Tanyas Haut war silbern im Sternenlicht und ihre langen blonden Locken leuchteten schwach, fast rosa auf ihrem Erdbeertaint. Ihre bernsteinfarbenen Augen leuchteten auf, als sie mich entdeckte, halb begraben unter dem Schnee, und ihre vollen Lippen umspielte ein Lächeln.
Vorzüglich. Wenn ich wirklich in der Lage gewesen wäre sie zu sehen. Ich seufzte.
Sie hockte sich auf den Felsen, ihre Fingerspitzen berührten den Stein, ihr Körper rollte sich zusammen.
Kanonenkugel, dachte sie.
Sie schoss in die Luft, ihre Umrisse wurden zu einem dunklen, verdrehten Schatten als sie zwischen mich und die Sterne sprang. Sie rollte sich zu einer Kugel zusammen als sie auf den aufgetürmten Schnee neben mir traf.
Ein Schneesturm erhob sich um mich herum. Die Sterne wurden schwarz und ich war begraben unter den federähnlichen eisigen Kristallen.
Ich seufzte wieder, aber machte keine Anstalten, mich aus dem Schnee zu heraus zu graben. Die Schwärze unter dem Schnee tat weder weh noch veränderte sie die Sicht. Ich sah immer noch dasselbe Gesicht.
„Edward?“
Wieder flog Schnee, als Tanya mich schnell ausgrub. Sie fegte das Pulver von meinem unbeweglichen Gesicht, darauf bedacht, meinem Blick nicht zu begegnen.
„Sorry,“ murmelte sie. „Es sollte ein Witz sein.“
„Ich weiß. Es war lustig.“
Ihre Mundwinkel verzogen sich nach unten.
„Irina und Kate sagen, ich sollte dich in Ruhe lassen. Sie denken ich nerve dich.“
„Kein bisschen,“ versicherte ich ihr. „Ganz im Gegenteil, ich bin derjenige der unhöflich ist – furchtbar unhöflich. Es tut mir sehr leid.“
Du gehst wieder nach Hause, oder? Dachte sie.
„Ich hab mich… noch nicht vollkommen… entschieden.“
Aber du bleibst nicht hier. Ihre Gedanken waren jetzt wehmütig, traurig.
„Nein. Es scheint nicht wirklich… zu helfen.“
Sie zog ein Gesicht. „Das ist meine Schuld, nicht wahr?“
„Natürlich nicht,“ log ich reibungslos.
Seih kein Gentleman.
Ich lächelte.
Wegen mir fühlst du dich unwohl, klagte sie.
„Nein.“
Sie zog eine Augenbraue hoch. Ihr Gesicht war so ungläubig, dass ich lachen musste. Ein kurzes Lachen gefolgt von einem weiteren Seufzer.
„Na gut,“ gab ich zu. „Ein kleines bisschen.“
Sie seufzte auch und stütze ihr Kinn auf ihre Hände. Ihre Gedanken waren verärgert.
„Du bist tausendmal lieblicher als die Sterne, Tanya. Dessen bist du dir natürlich absolut bewusst. Lass dein Vertrauen nicht von meiner Eigensinnigkeit erschüttern.“ Ich kicherte bei dieser abwegigen Idee.
„Ich bin solche Reaktionen nicht gewöhnt,“ brummte sie und verschob ihre Unterlippe zu einem attraktiven Schmollmund.
„Natürlich nicht,“ stimmte ich ihr zu und versuchte dabei ihre Gedanken auszublenden in denen sie all die Erinnerungen an ihre abertausend Eroberungen durchging. Tanya bevorzugte Menschliche Männer – für eine Sache waren sie besonders bekannt, für die Tatsache, dass sie weich und warm waren. Und immer gierig, mit Sicherheit.
„Sukkubus,“ zog ich sie auf, in der Hoffnung die Bilder aus ihren Gedanken zu vertreiben.
Sie grinste breit. „Das Original.“
Anders als Carlisle hatten Tanya und ihre Schwestern ihr Gewissen langsam entdeckt. Am Ende war es ihr Verlangen nach menschlichen Männern, weshalb sie sich gegen das Abschlachten entschlossen haben. Jetzt… lebten die Männer die sie liebten.
„Als du hier aufgetaucht bist,“ sagte Tanya langsam. „Dachte ich…“
Ich wusste was sie gedacht hatte. Ich hätte mir denken können, dass sie so fühlen würde. Aber im Moment war ich nicht gerade gut darin überlegt zu handeln.
„Du dachtest, ich hätte meine Meinung geändert.“
„Ja.“ Sie starrte finster vor sich hin.
„Ich fühle mich schlecht weil ich mit deinen Erwartungen gespielt habe, Tanya. Das wollte ich nicht – ich hab nicht nachgedacht. Es ist nur so, dass ich… sehr plötzlich aufgebrochen bin.“
„Ich gehe davon aus, dass du mir nicht erzählen wirst, warum…?“
Ich setzte mich auf und schlang die Arme um meine Beine. „Ich möchte nicht darüber reden.“
Tanya, Irina und Kate waren gut in dem Leben, dass sie sich ausgesucht hatten. Auf manche Art sogar besser als Carlisle. Abgesehen von der verrückten unmittelbaren Nähe die sie sich zu denen erlaubten die – einmal mehr – ihre Beute sein sollten, sie machten keine Fehler. Es war mir zu peinlich meine Schwäche vor Tanya einzugestehen.
„Probleme mit Frauen?“ vermutete sie und ignorierte meine Zurückhaltung.
Ich lachte schrill. „Nicht so wie du es denkst.“
Dann war sie still. Ich lauschte ihren Gedanken, während sie verschiedene Möglichkeiten durchging bei dem Versuch den Sinn meiner Worte zu verstehen.
„Du bist nicht mal nahe dran,“ sagte ich ihr.
„Ein Tipp?“ fragte sie.
„Bitte lass es gut sein, Tanya.“
Dann war sie wieder still, immer noch am grübeln. Ich ignorierte sie, und versuchte vergeblich die Sterne wahr zu nehmen.
Nach einem Moment der Stille gab sie auf und ihre Gedanken schlugen eine andere Richtung ein.
Wohin wirst du gehen, Edward, wenn du wieder abreist? Zurück zu Carlisle?
„Ich glaube nicht,“ flüsterte ich.
Wohin würde ich gehen? Ich konnte mir keinen Ort auf dem gesamten Planeten vorstellen, der irgendetwas Interessantes für mich barg. Es gab nichts was ich sehen oder tun wollte. Denn egal wo ich hinging, ich würde nirgendwo hin gehen – ich würde immer nur vor etwas weg rennen.
Ich hasste es. Wann bin ich so ein Feigling geworden?
Tanya legte ihren schlanken Arm um meine Schultern. Ich versteifte mich, löste mich aber nicht aus dieser Umarmung. Sie bezweckte nicht mehr damit als freundschaftliche Unterstützung. Hauptsächlich.
„Ich denke du wirst zurückgehen,“ sagte sie, in ihrer Stimme lag nur noch ein Hauch ihres lange verloren gegangen russischen Akzents. „Egal was es ist… oder wer es ist… das dich verfolgt. Du wirst ihm entgegentreten. Du bist so ein Typ.“
Ihre Gedanken waren sich dessen so sicher wie ihre Worte. Ich versuchte die Vision die sie von mir hatte festzuhalten. Derjenige, der den Dingen direkt entgegentrat. Es tat gut wieder so von mir selbst zu denken. Ich hatte nie an meinem Mut gezweifelt, meiner Fähigkeit mit Schwierigkeiten fertig zu werden, vor dieser schrecklichen Stunde in dem High School Biologiekurs vor so kurzer Zeit.
Ich küsste ihre Wange; und drehte mich schnell wieder weg als sie ihr Gesicht zu meinem drehte, ihre Lippen schon gespitzt. Sie lächelte reumütig über meine Schnelligkeit.
„Danke Tanya. Das musste ich hören.“
Ihre Gedanken wurden launisch. „Gern geschehen, denke ich. Ich wünschte du würdest besser mit dir reden lassen, Edward.“
„Es tut mir leid, Tanya. Du weißt, dass du zu gut für mich bist. Es ist nur… ich hab noch nicht gefunden wonach ich suche.“
„Na gut, wenn du gehst bevor wir uns noch einmal sehen… auf Wiedersehen Edward.“
„Auf Wiedersehen Tanya.“ Als ich die Worte aussprach konnte ich es sehen. Ich konnte mich gehen sehen. Stark genug um zu dem einzigen Ort zurück zu gehen an dem ich sein wollte. „Danke nochmal.“
Mit einer flinken Bewegung sprang sie auf ihre Füße und rannte weg, geisterte so schnell über den Schnee, dass ihre Füße keine zeit hatten in den Schnee einzusinken; sie hinterließ keine Fußspuren. Sie drehte sich nicht um. Meine Reaktion störte sie mehr als sie sich hatte anmerken lassen, sogar in ihren Gedanken. Sie würde mich nicht noch einmal sehen wollen bevor ich ging.
Ich verzog ärgerlich meinen Mund. Ich mochte es nicht Tanya zu verletzen, obwohl ihre Gefühle für mich nicht tief, nicht rein waren und auf jeden Fall nichts was ich erwidern konnte. Es kam mir trotzdem so vor als wäre ich dadurch weniger ein Gentleman.
Ich legte mein Kinn auf meine Knie und schaute wieder hinauf zu den Sternen, obwohl ich es plötzlich eilig hatte mich auf den Weg zu machen. Ich wusste, dass Alice sehen würde, wie ich nach Hause kam und es den anderen erzählte. Das würde sie glücklich machen – besonders Carlisle und Esme. Aber ich blickte noch einmal hoch zu den Sternen, versuchte an dem Gesicht in meinem Kopf vorbei zusehen. Zwischen mir und den funkelnden Lichtern im Himmel starrte mir ein verwirrtes schokoladenbraunes Augenpaar entgegen. Es schien zu fragen, was diese Entscheidung für sie bedeuten würde. Natürlich konnte ich mir nicht sicher sein, dass es das war, was diese eigenartigen Augen zu wissen begehrten. Selbst in meiner Vorstellung konnte ich ihre Gedanken nicht hören. Bella Swans Augen fragten weiter und ein ungehinderter Blick zu den Sternen blieb mir verwehrt. Mit einem schweren Seufzer, gab ich auf und erhob mich. Wenn ich rannte war ich in weniger als einer Stunde bei Carlisles Auto…
Ich wollte meine Familie so schnell wie möglich wiedersehen – wollte unbedingt der Edward sein, der den Problemen ins Gesicht sah – Ich rannte über das sternenklare Schneefeld, ohne Fußspuren zu hinterlassen.

„Es wird alles gut werden,“ hauchte Alice. Ihre Augen blickten ins Leere und Jasper hielt mit einer Hand ihren Ellenbogen um sie zu führen während wir aneinandergedrängt die Cafeteria betraten. Rosalie und Emmett gingen voran, Emmett sah lächerlicherweise aus wie ein Bodyguard mitten im Feindesland. Rose sah sich auch wachsam um, aber eher irritiert als beschützend.
„Natürlich wird es das,“ grummelte ich. Ihr Verhalten war albern. Wenn ich mir nicht sicher wäre mit der Situation umgehen zu können, wäre ich zu Hause geblieben.
Die plötzliche Verlagerung von unserem normalen, sogar verspielten Vormittag – es hatte in der Nacht geschneit und Emmett und Jasper waren sich nicht zu schade um meine Zerstreuung auszunutzen um mich mit Schneebällen zu bombardieren; als ich mich nicht wehrte, waren sie gelangweilt und bombardierten sich gegenseitig – auf diese übertriebene Wachsamkeit wäre komisch gewesen, wäre es nicht so ärgerlich.
„Sie ist noch nicht hier, aber auf dem Weg den sie hereinkommt… sie wird nicht in Windrichtung sein, wenn wir an unserem Stammplatz sitzen.“
„Natürlich setzten wir uns auf unseren Stammplatz. Hör auf damit, Alice. Du gehst mir auf die Nerven. Es geht mir gut und daran wird sich nichts ändern.“
Sie blinzelte kurz als Jasper ihr auf ihren Stuhl half, und ihre Augen blickten mir endlich ins Gesicht.
„Hmm,“ sagte sie überrascht. „Ich glaube du hast recht.“
„Selbstverständlich habe ich recht,“ murmelte ich.
Ich hasste es, im Mittelpunkt ihrer Sorgen zu stehen. Plötzlich hatte ich Mitleid mit Jasper als ich mich daran erinnerte wie wir alle schützend über ihm schwebten. Er erwiderte kurz meinen Blick und grinste.
Nervig, nicht war?
Ich schnitt ihm eine Grimasse.
War es erst letzte Woche gewesen, dass dieser lange, graue Raum so tödlich stumpf auf mich gewirkt hat? Dass es sich wie Schlaf, wie ein Koma anfühlte, hier zu sein?
Heute waren meine Nerven angespannt – wie die Seiten eines Pianos, gespannt um bei der kleinsten Berührung zu singen. Meine Sinne waren in äußerster Alarmbereitschaft; ich prüfte jedes Geräusch, jeden Seufzer, jeden Lufthauch der meine Haut berührte, jeden Gedanken. Besonders die Gedanken. Es gab nur einen Sinn den ich unterdrückte. Den Geruchssinn selbstverständlich. Ich atmete nicht.
Ich erwartete mehr über die Cullens zu hören in den Gedanken die ich durchforstete. Den ganzen Tag wartete ich, suchte nach irgendeiner Erkenntnis die Bella Swan jemandem anvertraut hatte, versuchte zu sehen welche Richtung der neue Klatsch und Tratsch nehmen würde. Aber da war nichts. Niemand beachtete die fünf Vampire in der Cafeteria, es drehte sich immer noch alles um das neue Mädchen. Einige der Menschen hier dachten immer noch an sie, immer noch dieselben Gedanken wie letzte Woche. Doch anstatt es unsagbar langweilig zu finden, war ich fasziniert.
Hatte sie mit niemandem über mich gesprochen?
Es war unmöglich dass sie meinen schwarzen, mörderischen Blick nicht bemerkt hatte. Ich hatte ihre Reaktion darauf gesehen. Sicher hatte ich sie zu Tode erschreckt. Ich war überzeugt gewesen, dass sie es vor irgendwem erwähnt haben musste, vielleicht sogar ausgeschmückt hatte um die Story noch besser zu machen. Mir ein paar bedrohliche Zeilen gab.
Und dann hatte sie ja auch noch mitbekommen wie ich versucht hatte den gemeinsamen Biologiekurs zu wechseln. Sie musste sich gefragt haben, nachdem sie meinen Gesichtsausdruck gesehen hatte, ob sie der Grund dafür war. Ein normales Mädchen hätte sich umgehört, ihr Erfahrungen mit denen der anderen verglichen um Gemeinsamkeiten zu entdecken die mein Benehmen gerechtfertigt hätten, damit sie sich nicht ausgeschlossen fühlte. Menschen wollten unbedingt normal sein, dazugehören. Sich in ihre Umgebung einfügen wie eine nichtssagende Schafherde. Dieses Bedürfnis war bei heranwachsenden ganz besonders ausgeprägt. Dieses Mädchen würde keine Ausnahme dieser Regel sein.
Aber niemand nahm Notiz von uns wie wir hier saßen, an unserem üblichen Tisch. Bella musste außerordentlich schüchtern sein, wenn sie sich niemandem anvertraut hatte. Vielleicht hatte sie mit ihrem Vater gesprochen, möglicherweise war dies die stärkste Bindung… obwohl das unwahrscheinlich war aufgrund der Tatsache, dass sie nur sehr wenig Zeit mit ihm verbracht hatte in ihrem Leben. Sie würde ihrer Mutter näherstehen. Trotzdem sollte ich bald mal bei Chief Swan vorbeischauen und mir anhören was er dachte.
„Irgendetwas neues?“ fragte Jasper.
„Nichts. Sie… scheint kein Wort darüber verloren zu haben.“
Alle hoben eine Augenbraue bei dieser Neuigkeit.
„Vielleicht bis du ja gar nicht so gruselig wie du immer dachtest,“ sagte Emmett kichernd. „Ich wette ich hätte ihr mehr Angst einjagen können als du.“
Ich verdrehte ihm gegenüber meine Augen.
„Ich frag mich warum…?“ Er wunderte sich wieder über meine Offenbarung über die einzigartige Stille dieses Mädchens.
„Wir sind damit durch. Ich weiß es nicht.“
„Sie kommt rein,“ murmelte Alice. Ich merkte wie mein Körper sich versteifte. „Versuch menschlich auszusehen.“
„Menschlich meinst du?“ fragte Emmett.
Er hob seine rechte Faust und dreht seine Finger um den Schneeball hervorzubringen den er in seiner Handfläche versteckt hatte. Natürlich war er dort nicht geschmolzen. Er hatte ihn zu einem klumpigen Eisbrocken zusammengedrückt. Sein Blick ruhte auf Jasper aber ich sah die Richtung seiner Gedanken. Genau wie Alice. Als er den eisigen Klumpen nach ihr warf, lenkte sie ihn mit einem beiläufigen Fingerschnippen in eine andere Richtung. Das Eis flog quer durch die Cafeteria, zu schnell für menschliche Augen, und zerschmetterte mit einem lauten Krach an der Backsteinwand. Der Stein krachte auch.
Die Köpfe in der Ecke des Raumes drehten sich alle um auf den kleinen Eisklumpen auf dem Boden zu starren und sich dann nach dem Schuldigen umzusehen. Sie schauten nur ein paar Tische weiter. Niemand sah zu uns.
„Sehr menschlich, Emmett,“ kritisierte Rosalie. „Warum schlägst du nicht gleich ein Loch in die Wand, wenn du schon einmal dabei bist?“
„Es würde beeindruckender aussehen, wenn du das tun würdest, Baby.“
Ich versuchte ihnen meine Aufmerksamkeit zu schenken, grinste vor mich hin als wäre ich Teil ihres Geplänkels. Ich erlaubte mir nicht zu der Schlange zu sehen in der ich wusste, dass sie stand. Aber das war alles wo ich hinhörte.
Ich konnte Jessicas Ungeduld mit der Neuen hören, die abgelenkt schien und bewegungslos in der Reihe stand. Ich sah, in Jessicas Gedanken, dass Bella Swans Wangen wieder rot gefärbt waren von ihrem Blut.
Ich nahm kurze, flache Atemzüge, bereit sofort das Atmen einzustellen, falls auch nur ein Hauch ihres Duftes die Luft in meiner Nähe erreichen sollte.
Mike Newton war bei den beiden Mädchen. Ich hörte seine beiden Stimmen, mental und verbal, als er Jessica fragte, was mit dem Swan-Mädchen los seih. Ich mochte es nicht wie seine Gedanken sich um sie drehten, das Aufflackern bereits hergestellter Fantasien, die seinen Verstand vernebelten, während er sie beobachtete wie sie aus einer Träumerei aufblickte als hätte sie vergessen, dass er da war.
„Gar nichts,“ hörte ich Bella mit dieser leisen, klaren Stimme sagen. Es hörte sich wie das Klingeln einer Glocke an durch das Gebrabbel in der Cafeteria, aber ich wusste, dass das nur daran lag, dass ich so konzentriert zuhörte.
„Ich nehme heute nur eine Limo,“ sagte sie, während sie weiterging um zum Ende der Schlange aufzuschließen.
Ich konnte mich nicht davon abhalten ihr einen kurzen Blick zuzuwerfen. Sie starrte auf den Fußboden, das Blut schwand langsam aus ihrem Gesicht. Schnell wandte ich meinen Blick ab, zu Emmett, der jetzt über das schmerzverzerrte Lächeln in meinem Gesicht lachte.
Du siehst krank aus, Bruder.
Ich arrangierte meinen Gesichtsausdruck, damit er leicht und lässig wirkte.
Jessica wunderte sich über die Appetitlosigkeit des Mädchens. „Bist du nicht hungrig?“
„Ehrlichgesagt, ist mir im Moment ein bisschen schlecht.“ Ihre Stimme war leiser, aber immer noch sehr klar.
Warum störten mich die beschützerischen Bedenken die plötzlich von Mikes Gedanken ausstrahlten? Was machte es schon, dass da ein Besitzergreifender Ton in ihnen lag? Es war nicht meine Angelegenheit, wenn Mike Newton sich unnötigerweise um sie sorgte. Vielleicht war das die Art wie jeder auf sie reagierte. Hatte ich sie nicht auch instinktiv beschützen wollen? Bevor ich sie töten wollte…
Aber war das Mädchen krank?
Es war schwer zu beurteilen – sie sah so delikat aus mit ihrer transparenten Haut… Dann bemerkte ich, dass ich mich auch um sie sorgte, genau wie dieser dämliche Junge, und ich zwang mich, nicht über ihre Gesundheit nachzudenken.
Abgesehen davon mochte ich es nicht, sie durch Mikes Gedanken zu beobachten. Also wechselte ich zu Jessicas und schaute genau zu während die drei sich einen Tisch aussuchten. Glücklicherweise setzen sie sich zu Jessicas üblicher Gesellschaft an einen der ersten Tische des Raumes. Nicht in Windrichtung, genau wie Alice versprochen hatte.
Alice stieß mich mit ihrem Ellenbogen an. Sie wird bald herübersehen. Benimm dich menschlich.
Hinter meinem Grinsen biss ich die Zähne zusammen.
„Beruhig dich, Edward,“ sagte Emmett. „Mal ehrlich. Dann tötest du halt einen Menschen. Das ist wohl kaum das Ende der Welt.“
„Wer weiß,“ murmelte ich.
Emmett lachte. „Du musst lernen über Dinge hinwegzukommen. Wie ich. Die Ewigkeit ist eine lange Zeit um in Schuldgefühlen zu versinken.“
Genau in dem Moment, schleuderte Alice eine kleinere Handvoll eis, die sie versteckt hatte, in Emmetts unerwartetes Gesicht.
Er blinzelte überrascht und dann grinste er in Erwartung.
„Du hast es nicht anders gewollt,“ sagte er als er sich vorbeugte und seine schneebedeckten Haare in ihre Richtung schüttelte. Der Schnee, der in dem warmen Raum bereits zu schmelzen begann, flog in einem dicken Schauer aus Wasser und Eis aus seinen Haaren.
„Iiih!“ kreischte Rosalie, als sie und Alice vor den Tropfen zurückwichen.
Alice lachte und wir alle stimmten mit ein. Ich konnte in Alice Gedanken sehen wie sie diesen perfekten Moment dirigiert hatte und ich wusste, dass das Mädchen – ich sollte aufhören auf diese Art an sie zu denken, als wäre sie das einzige Mädchen auf der Welt – dass Bella uns zusah wie wir lachten und spielten, wir sahen so glücklich und menschlich und unrealistisch ideal aus wie ein Norman Rockwell Gemälde.
Alice lachte weiter und hielt ihr Tablett als Schild vor ihr Gesicht. Das Mädchen – Bella musste immer noch zu uns herüber sehen.
…starrt wieder zu den Cullens, dachte jemand und erregte meine Aufmerksamkeit.
Automatisch reagierte ich auf diesen unbeabsichtigten Ruf, und bemerkte, als meine Augen ihr Ziel fanden, dass ich die Stimme kannte – Ich hatte ihr heute schon so oft zugehört.
Aber meine Augen glitten an Jessica vorbei, zu dem durchdringenden Blick des Mädchens.
Schnell senkte sie ihren Blick und versteckte sich wieder hinter ihren dicken Haaren.
Was dachte sie? Die Frustration wurde mit der Zeit immer größer anstatt abzustumpfen. Ich versuchte – unsicher darüber was ich da tat, da ich es nie zuvor getan hatte – mit meinen Gedanken die Stille um sie herum zu erforschen. Meine Gabe war immer ganz natürlich zu mir gekommen, ohne dass ich danach fragen musste; ich musste nie daran arbeiten. Aber jetzt konzentrierte ich mich um das Schild zu durchbrechen, dass sie umgab.
Nichts als Stille.
Was hat sie nur an sich? Dachte Jessica und spiegelte meine eigene Frustration wieder.
„Edward Cullen starrt dich an,“ flüsterte sie in dem Swan-Mädchen ins Ohr und kicherte. In ihrem Ton lag kein Anzeichen ihrer Eifersucht. Jessica schien gut darin zu sein Freundschaften vorzutäuschen.
Ich lauschte angestrengt auf die Antwort des Mädchens.
„Er sieht aber nicht sauer aus, oder?“ flüsterte sie zurück.
Also hatte sie meine wilde Reaktion letzte Woche bemerkt. Natürlich hatte sie das.
Die Frage verwirrte Jessica. Ich sah mein Gesicht in ihren Gedanken als sie meinen Ausdruck überprüfte, aber ich traf nicht ihren Blick. Ich konzentrierte mich immer noch auf das Mädchen und versuchte irgendetwas zu hören. Meine starke Konzentration schien nicht zu helfen.
„Nein,“ teilte ihr Jess mit und ich wusste, dass sie sich wünschte, sie hätte ja sagen können – wie mein Blick sie wurmte – aber davon war keine Spur in ihrer Stimme. „Wieso sollte er?“
„Ich glaube, er kann mich nicht leiden,“ flüsterte das Mädchen zurück und legte ihren Kopf auf ihren Arm als wäre sie plötzlich müde. Ich versuchte die Bewegung zu verstehen aber ich konnte nur raten. Vielleicht war sie müde.
„Die Cullens können niemanden leiden,“ versicherte ihr Jess. „Naja, eigentlich beachten sie niemanden genug um ihn leiden zu können.“ Jedenfalls bis jetzt nicht. Ihre Gedanken waren ein klagendes grummeln. „Obwohl – er schaut dich immer noch an.“
„Hör auf, ihn anzugucken,“ sagte das Mädchen ängstlich und hob den Kopf von ihrem Arm um sicherzugehen, dass Jessica ihrer Bitte nachkam.
Jessica kicherte, tat aber was ihr gesagt wurde.
Für den Rest der Stunde sah das Mädchen nicht mehr von ihrem Tisch auf. Ich dachte – obwohl ich natürlich nicht sicher sein konnte – dass es Absicht war. Es wirkte so als ob sie zu mir herüber sehen wollte. Ihr Körper würde sich leicht in meine Richtung bewegen, ihr Kinn würde sich drehen, und dann würde sie sich dabei erwischen, tief einatmen und stur zu demjenigen starren der gerade sprach.
Ich ignorierte den Großteil der Gedanken um sie herum, da sie im Moment nicht von ihr handelten. Mike Newton plante eine Schneeballschlacht nach der Schule auf dem Parkplatz und bemerkte nicht, dass der Schnee sich in Regen verwandelt hatte. Das rieseln der Schneeflocken auf dem Dach war zu dem üblichen trommeln von Regentropfen geworden. Konnte er die Veränderung wirklich nicht hören? Für mich hörte es sich sehr laut an.
Als die Mittagspause zu Ende ging, blieb ich auf meinem Stuhl sitzen. Die Menschen strömten hinaus und ich erwischte mich dabei wie ich versuchte ihre Schritte von denen der anderen zu unterscheiden, als ob da etwas Wichtiges oder Unnormales an ihnen wäre. Wie dumm.
Meine Familie machte auch keine Anstalten sich zu bewegen. Sie warteten ab, was ich tun würde.
Würde ich in den Klassenraum gehen, mich neben das Mädchen setzen, wo ich den starken Duft ihres Blutes riechen und die Wärme ihres Pulses in der Luft auf meiner Haut spüren konnte? War ich stark genug dafür? Oder hatte ich genug für heute?
„Ich… denke es ist okay,“ sagte Alice zögernd. „Dein Geist ist bestimmt. Ich denke du überstehst die Stunde.“
Aber Alice wusste nur zu gut wie schnell ein Geist sich ändern konnte.
„Warum das Glück herausfordern, Edward?“ fragte Jasper. Er wollte sich nicht selbstgefällig fühlen, weil ich jetzt der Schwache war, aber ich konnte hören, dass er es ein bisschen tat. „Geh nach Hause. Geh es langsam an.“
„Was ist schon groß dabei?“ wiedersprach Emmett. „Entweder er tötet sie oder eben nicht. So oder so muss er es hinter sich bringen.“
„Ich will noch nicht wieder umziehen,“ beschwerte sich Rosalie. „Ich will nicht von vorn anfangen. Wir sind fast fertig mit der High School Emmett. Endlich.“
Ich war hin und hergerissen in meiner Entscheidung. Ich wollte, wollte wirklich dem Problem gegenübertreten, statt schon wieder davon zu laufen. Aber ich wollte auch nicht zu weit gehen. Es war ein Fehler von Jasper letzte Woche zur Schule zu gehen obwohl er so lange nicht auf der Jagd gewesen war; war das hier jetzt ein genauso sinnloser Fehler?
Ich wollte meine Familie nicht entwurzeln. Niemand von ihnen würde mir dafür danken.
Aber ich wollte in meinen Biologiekurs gehen. Ich bemerkte, dass ich ihr Gesicht wiedersehen wollte.
Das war es das mich meine Entscheidung treffen lies. Dieses Merkwürdige Verlangen. Ich war wütend auf mich weil ich so fühlte. Hatte ich mir nicht geschworen, dass die Stille der Gedanken dieses Mädchens nicht unnötigerweise mein Interesse wecken würde? Und hier stand ich nun, vollkommen unnötig interessiert.
Ich wollte wissen, was sie dachte. Ihr Kopf war verschlossen, aber ihre Augen waren geöffnet. Vielleicht konnte ich sie lesen.
„Nein, Rose, ich glaube wirklich, dass es ok ist,“ sagte Alice. „Es… wird beständiger. Ich bin mir zu 93% sicher, dass nichts Schlimmes passieren wird, wenn er in seinen Biologiekurs geht.“ Sie sah mich neugierig an, wunderte sich, welche Veränderung in meinen Gedanken ihre Zukunftsvision sicherer gemacht hatte.
Würde Neugierde ausreichen um Bella Swan am Leben zu erhalten?
Emmett hatte irgendwie recht – warum es nicht einfach hinter sich bringen, so oder so? Ich würd der Versuchung gegenübertreten.
„Zum Unterricht, also,“ ordnete ich an und erhob mich von meinem Platz. Ich wandte mich ab und verließ die Cafeteria ohne mich noch einmal umzudrehen. Ich konnte Alices sorgen hören, Jaspers Tadel, Emmetts Anerkennung und Rosalies Verärgerung.
Vor der Tür des Klassenraumes atmete ich ein letztes Mal tief ein und dann hielt ich die Luft an, während ich den kleinen warmen Raum betrat.
Ich war nicht zu spät. Mr. Banner rüstete sich noch für den bevorstehenden Unterricht. Das Mädchen saß an meinem – an unserem Tisch, den Kopf gesenkt und starrte auf den Ordner den sie vollkritzelte. Ich begutachtete die Zeichnung als ich näherkam, sogar interessiert an dieser trivialen Kreation ihres Geistes, aber es war nichtssagend. Nur ein wiederholtes kritzeln von Kringel zu Kringel. Vielleicht konzentrierte sie sich gar nicht auf das Muster, sondern dachte an etwas anderes?
Ich zog meinen Stuhl unnötig grob zurück und ließ ihn über das Linoleum kratzen; Menschen fühlten sich wohler wenn ein Geräusch das Erscheinen von jemandem ankündigte.
Ich wusste, dass sie das Geräusch gehört hatte; sie sah nicht auf, aber ihre Hand ließ einen Kringel in der Zeichnung aus und machte sie unsymmetrisch.
Warum sah sie nicht auf? Vielleicht hatte sie Angst. Ich musste sichergehen, dass sie einen anderen Eindruck von mir hatte, wenn sie später ging. Musste sie glauben machen, dass sie sich alles nur eingebildet hatte.
„Hallo,“ sagte ich mit der ruhigen Stimme die ich benutze, wenn ich wollte, dass die Menschen sich in meiner Gegenwart wohlfühlten und formte ein freundliches Lächeln mit meinen Lippen, das keinen meiner Zähne entblößte.
Sie sah auf, ihre großen brauen Augen erstarrten – fast perplex – und voller stummer Fragen. Es war derselbe Ausdruck der meine Sicht die ganze letzte Woche blockiert hatte.
Als ich in diese seltsam tiefen braunen Augen blickte, merkte ich dass sich der Hass – der Hass von dem ich dachte, dass dieses Mädchen ihn verdiente nur weil sie existierte – in Luft aufgelöst hatte. Jetzt bloß nicht atmen, nicht ihren Duft schmecken, es war schwer vorstellbar, dass jemand so verletzliches Hass verdiente.
Ihre Wangen wurden rot und sie sagte nichts.
Ich schaute ihr weiterhin in die Augen, konzentrierte mich nur auf die fragenden Zweifel und versuchte die appetitliche Farbe ihrer Haut zu ignorieren. Ich hatte genug Atem um noch eine Weile weiter zu sprechen ohne einatmen zu müssen.
„Meine Name ist Edward Cullen,“ sagte ich obwohl ich wusste, dass sie das wusste. Es war höflich so zu beginnen. „Ich bin letzte Woche nicht dazu gekommen mich vorzustellen. Du must Bella Swan sein.“
Sie wirkte verwirrt – da war die kleine Falte zwischen ihren Augen wieder. Sie brauchte eine halbe Sekunde länger als gewöhnlich um zu antworten.
„Woher kennst du meinen Namen?“ fragte sie und ihre Stimme zitterte nur ganz leicht.
Ich muss ihr wirklich Angst eingejagt haben. Ich fühlte mich schuldig; Sie war so Schutzlos. Ich lachte freundlich – ein Geräusch von dem ich wusste, dass es Menschen half sich behaglich zu fühlen. Wieder war ich vorsichtig mit meinen Zähnen.
„Oh, ich würde sagen alle hier wissen wie du heißt.“ Sie muss doch bemerkt haben, dass sie zum Mittelpunkt der Aufmerksamkeit an diesem monotonen Ort geworden war. „Die ganze Stadt hat auf deine Ankunft gewartet.“
Sie runzelte die Stirn, als ob ihr diese Information unangenehm war. Ich vermutet, so schüchtern wie sie wohl war, musste Aufmerksamkeit etwas Schlechtes für sie sein. Die meisten Menschen empfanden das Gegenteil. Obwohl sie nicht aus der Herde austreten wollten, krochen sie gleichzeitig zum Scheinwerferlicht um ihre individuelle Uniformität zu präsentieren.
„Nein,“ sagte sie. „Ich meine, warum hast du mich Bella genannt?“
„Ist dir Isabella lieber?“ fragte ich verwirrt aufgrund der Tatsache, dass ich nicht sehen konnte wo die Frage hinführte. Ich verstand es nicht. Sie hatte ihre Vorliebe am ersten Tag mehrmals klar gemacht. Waren alle Menschen so unergründlich ohne den geistigen Zusammenhang als Hilfe?
„Nein, ich mag Bella,“ antwortete sie und legte ihren Kopf leicht zur Seite. Ihr Gesichtsausdruck – wenn ich ihn richtig las – war hin und hergerissen zwischen Scham und Irritation. „Aber ich glaube dass Charlie – ich meine mein Dad –mich anscheinend hinter meinem Rücken Isabelle nennt. Jedenfalls scheint mich hier jeder unter diesem Namen zu kennen.“ Ihr Gesicht wurde einen Rotton dunkler.
„Oh,“ sagte ich lahm und drehte mich schnell weg.
Plötzlich hatte ich verstanden, worauf ihre Frage abzielte: Ich hatte einen Ausrutscher gemacht – einen Fehler. Wenn ich die anderen Schüler am ersten Tag nicht belauscht hätte, hätte ich sie automatisch mit ihrem vollen Namen angesprochen, wie alle anderen auch. Ihr war der Unterschied aufgefallen.
Ich fühlte ein stechendes Unbehagen. Mein Ausrutscher war ihr sehr schnell aufgefallen. Sehr scharfsinnig, besonders für jemanden, der in meiner Nähe Angst verspüren sollte.
Aber ich hatte größere Probleme als die Frage was für Gedanken sie über mich in ihrem Kopf verschloss.
Ich hatte keine Luft mehr. Wenn ich weiter mit ihr reden wollte, musste ich einatmen.
Es würde schwer sein nicht zu reden. Unglücklicherweise, für sie, machte der gemeinsame Tisch sie zu meinem Versuchspartner und wie würden heute zusammen arbeiten müssen. Es würde seltsam aussehen – und unglaublich unhöflich – wenn ich sie während des Versuchs ignorieren würde. Es würde sie noch misstrauischer, noch ängstlicher machen…
Ich lehnte mich soweit von ihr weg wie es möglich war ohne meinen Stuhl wegzuschieben und drehte meinen Kopf zum Gang. Ich stütze mich ab, spannte meine Muskeln an und nahm einen schnellen Atemzug indem ich nur durch meinen Mund atmete.
Ah!
Es war wirklich schmerzhaft. Selbst wenn ich sie nicht roch, konnte ich sie auf meiner Zunge schmecken. Meine Kehle stand plötzlich wieder in Flammen, das Verlangen war genauso stark wie letzte Woche in dem Moment als ich ihren Duft das erste Mal aufgeschnappt hatte.
Ich presste die Zähne zusammen und versuchte mich zusammenzureißen.
„Die Zeit läuft,“ gab Mr. Banner den Startschuss.
Es fühlte sich an, als müsste ich jedes kleine bisschen Selbstkontrolle aufbringen, dass ich mir in siebzig Jahren erarbeitet hatte um sie ansehen zu können. Sie starrte vor sich auf den Tisch und lächelte.
„Ladies first?“ bot ich ihr an.
Sie sah auf und ihr Gesicht wurde ausdruckslos und ihre Augen weiteten sich. Stimmte etwas nicht mit meinem Gesichtsausdruck? Hatte ich ihr wieder Angst gemacht? Sie sagte nichts.
„Ich kann auch anfangen, wenn du willst,“ sagte ich leise.
„Nein,“ sagte sie und ihr Gesicht lief wieder rot an. „Ich mach schon.“
Ich starrte das Material auf dem Tisch an, das Mikroskop, die Schachtel mit den Präparaten – besser als zuzusehen wie das Blut unter ihrer blassen Haus zirkulierte. Ich nahm einen weiteren hastigen Atemzug durch meine Zähne und zuckte zusammen unter den Schmerzen die ihr Geschmack in meiner Kehler verursachte.
„Prophase,“ sagte sie nach einem kurzen Blick durch das Mikroskop. Sie wollte das Präparat schon entfernen obwohl sie kaum darauf geschaut hatte.
„Lässt du mich auch einen Blick darauf werfen?“ Instinktiv – dämlich, als wäre ich einer von ihnen – griff ich nach ihrer Hand um sie daran zu hindern, das Präparat zu entfernen. Für eine Sekunde brannte ihre Haut auf meiner. Es war wie ein elektrischer Impuls – heißer als 89,6 Grad. Die Hitze schoss durch meine Hand meinen Arm hinauf. Hastig zog sie ihre Hand unter meiner zurück.
„Entschuldigung,“ murmelte ich durch meine zusammengebissenen Zähne. Ich brauchte etwas wo ich hingucken konnte, also starrte ich kurz durch das Okular des Mikroskops. Sie hatte recht.
„Prophase,“ stimmte ich ihr zu.
Ich war immer noch zu verstört um sie anzusehen. Ich ignorierte den brennenden Durst als ich so leise wie möglich durch meine Zähne einatmete und konzentrierte mich auf die Aufgabe während ich das Wort in der richtigen Stelle des Arbeitsblattes eintrug und anschließend das Präparat austauschte.
Was dachte sie jetzt? Wie hat es sich für sie angefühlt als ich ihre Hand berührte? Meine Haut muss eiskalt gewesen sein – abstoßend. Kein Wunder dass sie so still war.
Ich streifte das Präparat mit einem Blick.
„Anaphase,“ sagte ich mehr zu mir selbst als ich es in der nächsten Zeile eintrug.
„Darf ich?“ fragte sie.
Ich sah auf und war überrascht zu sehen, dass sie eine Hand erwartungsvoll nach dem Mikroskop ausgestreckt hatte. Sie sah nicht verängstigt aus. Dachte sie wirklich meine Antwort wäre falsch?
Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen, als ich den Hoffnungsvollen Blick sah mit dem sie das Mikroskop entgegennahm.
Sie schaute durch das Okular mit einem Eifer, der sich schnell wieder auflöste. Ihre Mundwinkel senkten sich.
„Präparat Nr. drei?“ fragte sie ohne von dem Mikroskop aufzusehen und hielt ihre Hand auf. Ich lies es in ihre Hand fallen, darauf bedacht sie nicht noch einmal zu berühren. Neben ihr zu sitzen war wie neben einem Heizstrahler zu sitzen. Ich konnte fühlen wie meine Temperatur leicht anstieg.
Sie sah sich das Präparat nicht sehr lange an. „Interphase,“ sagte sie lässig – vielleicht versuchte sie etwas zu lässig zu klingen – und schob mir das Mikroskop zu. Sie berührte das Arbeitsblatt nicht und wartet stattdessen darauf, dass ich die Antwort eintrug. Ich überprüfte ihre Antwort kurz – sie hatte wieder recht.
Wir beendeten die Übung auf diese Weise, sprachen nur das Nötigste und sahen uns nicht an. Wir waren als erstes fertig – die anderen hatten mehr Probleme mit dem Versuch. Mike Newton hatte Probleme sich zu konzentrieren – er versuchte Bella und mich zu beobachten.
Ich wünschte er wäre da geblieben wo auch immer er gewesen ist, dachte Mike und beobachtet mich wütend. Hmm, interessant. Ich wusste nicht, dass dieser Junge irgendeine Abneigung gegen mich hegte. Das war eine ganz neue Entwicklung, genau so neu wie die Ankunft des Mädchens. Aber was ich noch interessanter fand – zu meiner Überraschung – diese Abneigung beruhte auf Gegenseitigkeit.
Ich sah wieder zu dem Mädchen, verwirrt von der großen Spanne von Chaos und Umbruch die sie trotz ihres gewöhnlichen unbedrohlichen Auftretens in meinem Leben verursacht hatte.
Es war nicht so, dass ich nicht nachvollziehen konnte, was in Mike vorging. Sie war ehrlichgesagt ziemlich hübsch… auf eine ungewöhnliche Art und Weise. Ihr Gesicht war mehr interessant als schön. Nicht gerade symmetrisch – ihr schmales Kinn passte nicht zu ihren breiten Wangenknochen; Extreme Farben – der hell/dunkel Kontrast zwischen ihrer Haut und ihren Haaren; und dann waren da noch die Augen die übersprudelten vor lauter stillen Geheimnissen…
Augen die sich plötzlich in mich bohrten.
Ich starrte zurück und versuchte wenigstens eins dieser Geheimnisse zu ergründen.
„Hast du Kontaktlinsen bekommen?“ fragte sie auf einmal.
Was für eine seltsame Frage. „Nein.“ Ich musste fast lachen bei der Vorstellung, ich müsste mein Sehstärke verbessern.
„Oh,“ nuschelte sie. „Ich hatte das Gefühl dass deine Augen irgendwie anders sind.“
Ich fühlte mich plötzlich wieder kälter als ich verstand, dass ich offensichtlich nicht der einzige war der heute Geheimnisse aufdeckte.
Ich zuckte mit den Schultern und wandte mich in die Richtung wo der Lehrer seine Runden zog.
Natürlich sahen meine Augen anders aus seit sie sie das letzte Mal gesehen hatte. Um mich auf die Tortur, auf das Verlangen heute vorzubereiten, hatte ich das ganze Wochenende damit verbracht zu jagen, meinen Durst so gut es ging zu stillen, zu übersättigen. Ich überfüllte mich mit dem Blut von Tieren, nicht dass es viel geändert hatte wenn ich wieder dem Duft gegenüberstand, der die Luft um sie herum füllte. Als ich sie das letzte Mal angesehen hatte, waren meine Augen schwarz vor Durst. Jetzt wo mein Körper mit Blut gefüllt war, hatten meine Augen einen warmen Goldton. Bernsteinfarben von meinem exzessiven Versuch meinen Durst zu stillen.
Noch ein Ausrutscher. Wenn ich gesehen hätte, was sie mit ihrer Frage meinte, hätte ich einfach ja gesagt.
Seit zwei Jahren saß ich nun zwischen den Menschen in dieser Schule, und sie war die erste die mich intensiv genug beobachtet hatte um den Unterschied meiner Augenfarbe zu bemerken. Die anderen schauten sofort weg, wenn wir die Blicke erwiderten die sie uns zuwarfen weil sie Schönheit meiner Familie bewunderten. Sie scheuen zurück, blockieren die Details unsere Erscheinung in dem instinktiven Bestreben besser nicht zu verstehen. Ignoranz war der Segen des menschlichen Geistes.
Warum musste es ausgerechnet dieses Mädchen sein, das zu viel sah?
Mr. Banner erreichte unseren Tisch. Dankbar inhalierte ich den frischen Windzug den er mitbrachte und der noch nicht von ihrem Duft getränkt war.
„Edward,“ sagte er mit dem Blick auf unseren Antworten. „Meinst du nicht Isabella hätte auch ein wenig am Mikroskop üben sollen?“
„Bella“ korrigierte ich reflexartig. „Um ehrlich zu sein, drei der fünf hat sie identifiziert.“
Mr. Banners Gedanken waren skeptisch, als er sich dem Mädchen zuwandte. „Hast du die Übung schon mal gemacht?“
Ich beobachtete sie, vertieft in ihr lächeln, dass ein wenig peinlich berührt aussah.
„Nicht mit Zwiebelwurzeln.“
„Mit Fisch-Blastula?“ riet Mr. Banner.
„Ja.“
Das überraschte ihn. Die heutige Übung hatte er von einem fortgeschritteneren Kurs übernommen. Er nickte dem Mädchen gedankenverloren zu. „Warst du in Phoenix in einem College-Vorbereitungskurs?“
„Ja.“
Sie war also fortgeschritten, intelligent für einen Menschen. Das überraschte mich nicht.
„Naja,“ sagte Mr. Banner und schürzte seine Lippen. „Vielleicht ist es ganz gut, dass ihr zusammensitzt.“ Er drehte sich um und nuschelte „Dann bekommen die anderen Kids die Chance selbst etwas zu lernen,“ vor sich hin. Ich bezweifelte, dass das Mädchen das gehört hatte. Sie begann wieder Kringel auf ihren Ordner zu malen.
Zwei Ausrutscher in einer halben Stunde. Eine ganz miserable Vorstellung von meiner Seite. Obwohl ich immer noch keine Ahnung hatte, was das Mädchen von mir dachte – wie viel Angst hatte sie, wie viel ahnte sie? – wusste ich dass ich mich noch mehr anstrengen musste um einen guten Eindruck bei ihr zu hinterlassen. Irgendwie musste ich ihre Erinnerung an unsere letzte grausame Begegnung ertränken.
„Schade um den Schnee, nicht war?“ wiederholte ich den Smalltalk, den duzende von Schülern schon geführt hatten. Ein langweiliges Gesprächsthema. Das Wetter – ein sicheres Thema.
Sie starrte mich zweifelnd an – eine unnormale Reaktion auf meine normale Frage. „Nicht wirklich,“ sagte sie und überraschte mich schon wieder.
Ich versuchte die Unterhaltung wieder auf einen banalen Pfad zu lenken. Sie kam aus einer warmen, helleren Gegend – ihre Haut strahlte das irgendwie aus – die Kälte musste unangenehm sein für sie. Genau wie meine eisige Berührung…
„Du magst die Kälte nicht,“ nahm ich an.
„Genau wie die Nässe,“ stimmte sie mir zu.
„Es muss schwer für dich sein, in Forks zu leben.“ Vielleicht hättest du nicht herkommen sollen, wollte ich noch hinzufügen. Vielleicht solltest du dahin zurückgehen wo du hingehörst.
Aber ich war mir nicht sicher, ob ich das wirklich wollte. Ich würde mich immer an den Duft ihres Blutes erinnern – gab es eine Garantie dafür, dass ich ihr nicht folgen würde? Abgesehen davon, wenn sie wieder wegging würden ihre Gedanken für immer ein Geheimnis bleiben. Ein quälendes ungelöstes Puzzel.
„Du hast ja keine Ahnung,“ sagte sie mit schwacher Stimme und blickte für einen Moment gedankenverloren an mir vorbei.
Ihre Antworten waren nie das, was ich erwartet hatte. Sie veranlassten mich dazu mehr Fragen zu stellen.
„Warum bist du dann hierher gekommen?“ hakte ich nach, und merkte sofort, dass mein Tonfall anklagend klang, nicht lässig genug für diese Unterhaltung. Die Frage klang unhöflich, neugierig.
„Es ist… kompliziert.“
Sie blinzelte kurz mit ihren großen Augen und beließ es dabei. Ich platzte fast vor Neugierde – die Neugierde brannte genauso heiß wie der Durst in meiner Kehle. Ehrlichgesagt, wurde es langsam einfacher zu atmen; die Qual wurde erträglicher durch die Vertrautheit.
„Ich denke, ich werd’s verstehen,“ beharrte ich. Vielleicht würde normale Neugierde sie dazu bringen meine Fragen so lange zu beantworten, wie ich unhöflich genug war, sie zu stellen.
Sie schwieg und starrte auf ihre Hände. Das machte mich ungeduldig; ich wollte meine Hand unter ihr Kinn legen und ihren Kopf anheben, damit ich in ihren Augen lesen konnte. Aber das wäre dumm von mir – gefährlich – ihre Haut noch einmal zu berühren.
Plötzlich sah sie auf. Es war eine Erleichterung die Gefühle wieder in ihren Augen sehen zu können. Sie sprach schnell, ratterte die Wörter herunter.
„Meine Mutter hat wieder geheiratet.“
Ah, das war sehr menschlich, leicht zu verstehen. Sie senkte betrübt ihre klaren Augen und die kleine Falte erschien wieder zwischen ihnen.
„Das hört sich nicht so kompliziert an,“ sagte ich. Meine Stimme war freundlich ohne dass ich groß etwas dazu beitragen musste. Ihre Betrübnis machte mich seltsam hilflos und ich wünschte mir ich könnte irgendetwas für sie tun. Ein merkwürdiger Impuls. „Wann war das?“
„Letzten September.“ Sie atmete tief aus – nicht wirklich ein Seufzen. Ich hielt die Luft an, als ihr warmer Atem mein Gesicht berührte.
„Und du magst ihn nicht.“ Vermutete ich in der Hoffnung mehr Informationen zu bekommen.
„Nein, Phil ist schon ok,“ sagte sie und korrigierte meine Annahme. Die Andeutung eines Lächelns umspielte ihre vollen Lippen. „Ein bisschen zu jung vielleicht, aber nett.“
Das passte nicht zu der Situation die ich mir ausgemalt hatte.
„Warum bist du nicht bei ihnen geblieben?“ fragte ich etwas zu neugierig. Es klang naseweis. Was ich zugegebenermaßen ja auch war.
„Phil reist sehr viel. Er spielt Profi-Baseball.“ Das kleine Lächeln trat nun deutlicher hervor; diese Berufswahl amüsierte sie.
Ich lächelte auch ohne dass ich es beabsichtigt hätte. Ich versuchte gar nicht ihr ein behagliches Gefühl zu vermitteln. Ihr Lächeln bewirkte, dass ich zurücklächeln wollte – um ehrlich zu sein.
„Kenne ich ihn?“ Ich arbeitete die Liste aller Profi Baseballer im Kopf ab und fragte mich, welcher Phil ihrer war…
„Eher nicht. So gut spielt er nicht.“ Wieder ein Lächeln. „Zweite Liga. Er wechselt ständig.“
Die Liste in meinem Kopf veränderte sich und ich tabellierte eine Liste anderer Möglichkeiten in weniger als einer Sekunde. Zur selben Zeit, malte ich mir die neue Situation aus.
„Und deine Mutter hat dich hierher geschickt, damit sie mit ihm reisen kann,“ sagte ich. Spekulationen schienen mehr Informationen aus ihr herauszubekommen als meine Fragen vorher. Es klappte wieder. Sie schob ihr Kinn vor und ihr Gesichtsausdruck war plötzlich starsinnig.
„Nein, sie hat mich nicht geschickt,“ sagte sie und ihre Stimme klang hart. Meine Annahme hatte sie aufgebracht, obwohl ich nicht verstand, warum. „Ich hab mich selbst geschickt.“
Ich verstand die Bedeutung nicht und auch nicht den Grund für ihren Groll. Ich war gänzlich verloren.
Also gab ich auf. Ich wurde einfach nicht schlau aus diesem Mädchen. Sie war nicht wie anderen Menschen. Vielleicht waren die Stille ihrer Gedanken und ihr verlockender Duft nicht die einzigen Dinge die anders an ihr waren.
„Das verstehe ich nicht,“ gab ich zu und hasste es, das einzugestehen.
Sie seufzte und schaute mir in die Augen, länger als nahezu jeder normale Mensch es geschafft hätte.
„Zuerst blieb sie bei mir aber sie hat ihn vermisst,“ erklärte sie langsam, ihr Tonfall hörte sich mit jedem Wort einsamer an. „Es hat sie unglücklich gemacht… also habe ich mich dazu entschlossen, etwas mehr Zeit mit Charlie zu verbringen.“
Die kleine Falte zwischen ihren Augen wurde tiefer.
„Und jetzt bist du unglücklich,“ murmelte ich. Ich könnte nicht damit aufhören meine Hypothesen laut auszusprechen in der Hoffnung aus ihren Reaktion zu lernen. Diese, wie auch immer, schien nicht allzu weit von der Wahrheit entfern zu sein.
„Und?“ sagte sie, als wäre das ein Aspekt der nicht berücksichtigt werden müsse.
Ich starrte ihr weiter in die Augen und merkte dass ich nun endlich meinen ersten echten kleinen Einblick in ihre Seele bekommen hatte. In diesem einen Wort sah ich, welchen Platz sie sich auf ihrer Prioritätenskala einräumte. Anders als bei anderen Menschen, standen ihre eigenen Bedürfnisse ganz weit unten auf der Liste.
Sie war selbstlos.
Als mir das bewusst wurde begann sich das Geheimnis um diese Person die sich hinter stummen Gedanken versteckte ein wenig zu lüften.
„Das klingt nicht gerade fair,“ sagte ich. Lässig zuckte ich mit den Schultern um meine Neugierde zu verbergen.
Sie lachte, aber es klang nicht amüsiert. „Hat dir das noch keiner gesagt? Das Leben ist nicht fair.“
Ich wollte über ihre Worte lachen, obwohl auch ich nicht amüsiert war. Ich wusste ein kleines bisschen was über die Ungerechtigkeit im Leben. „Ich denke, das habe ich schon mal irgendwo gehört.“
Sie starrte mich an und wirkte wieder verwirrt. Ihre Augen flackerten und dann trafen sie meine wieder.
„Das ist alles,“ sagte sie mir.
Aber ich war noch nicht bereit, diese Unterhaltung zu beenden. Das kleine V zwischen ihren Augen, ein Anzeichen von Sorge, störte mich. Ich wollte es mit meinen Fingerspitzen glattstreichen. Aber selbstverständlich konnte ich sie nicht berühren. Es war in so vielerlei Hinsicht nicht sicher.
„Du überspielst das ziemlich gut.“ Ich sprach langsam, erwog immer noch die nächste Hypothese. „Aber ich wette du leidest mehr als du irgendjemandem zeigst.“
Sie verzog das Gesicht, ihre Augen verengten sich, ihre Lippen formten einen Schmollmund und sie wandte sich wieder nach vorn zum Lehrerpult. Sie mochte es nicht, wenn ich richtig riet. Sie war kein typischer Märtyrer – sie wollte kein Publikum für ihren Schmerz.
„Habe ich unrecht?“
Sie wich leicht zurück, aber tat so als hätte sie mich nicht gehört.
Ich musste lächeln. „Ich denke nicht.“
„Warum interessiert dich das überhaupt?“ verlangte sie zu wissen und starrte mich wieder an.
„Das ist eine gute Frage.“ Gab ich zu, mehr zu mir selbst statt als Antwort.
Ihr Urteilsvermögen war besser als meins – sie sah den Kern der Dinge während ich am Rand herum zappelte und blind die Anhaltspunkte durchsiebte. Die Details ihres menschlichen Lebens sollten mich nicht interessieren. Es war falsch von mir mich um ihre Gedanken zu sorgen. Abgesehen vom Schutz meiner Familie waren menschliche Gedanken bedeutungslos.
Ich war es nicht gewohnt der weniger intuitiver Part einer Beziehung zu sein. Ich verließ mich zu sehr auf mein besonderes Gehör – ich war nicht so scharfsinnig wie ich immer dachte.
Das Mädchen seufzte und blickte wieder nach vorne. Irgendetwas an ihrem frustrierten Gesichtsausdruck war belustigend. Die ganze Situation, die ganze Unterhaltung war belustigend. Niemand befand sich jemals in größerer Gefahr vor mir als diese kleine Mädchen – jeden Moment, abgelenkt von dieser lächerlichen Konversation, konnte ich durch meine Nase einatmen, die Beherrschung verlieren und sie anfallen – und sie war irritiert weil ich ihre Frage nicht beantwortet hatte.
„Nerve ich dich?“ fragte ich und schmunzelte über die Lächerlichkeit des ganzen.
Sie warf mir einen flüchtigen Blick zu und dann schienen ihre Augen von meinen gefangen.
„Nicht wirklich,“ erklärte sie mir. „Ich bin von mir selbst genervt. Mein Gesicht ist so einfach zu lesen – meine Mutter nennt mich immer ihr offenes Buch.“
Verärgert runzelte sie die Stirn.
Ich starrte sie erstaunt an. Sie war verärgert weil ich sie zu leicht durchschaute. Wie bizarr. Es hat mich in meinem ganzen Leben noch nie so viel Aufwand gekostet um jemanden zu verstehen – oder besser Existenz, Leben war wohl kaum das richtige Wort. Ich hatte nicht wirklich ein Leben.
„Ganz im Gegenteil,“ wiedersprach ich und fühlte mich seltsam… vorsichtig, als ob da irgendeine versteckte Gefahr wäre die ich nicht sehen konnte. Plötzlich war ich auf der Hut, die Vorwarnung machte mich vorsichtig. „Ich finde du bist sehr schwer zu lesen.“
„Dann musst du ein guter Leser sein,“ folgerte sie, und hatte mit ihrer Vermutung wieder mitten ins Schwarze getroffen.
„Normalerweise,“ stimmte ich ihr zu.
Ich lächelte breit um meine leuchtenden, messerscharfen Zähne zu zeigen.
Es war dumm von mir das zu tun aber plötzlich wollte ich verzweifelt eine Warnung an dieses Mädchen loswerden. Ihr Körper war näher als vorher, ihre Haltung hatte sich unbewusst geändert während unserer Unterhaltung. All die kleinen Zeichen und Hinweise die dazu dienten alles Menschliche ängstlich auf Abstand zu halten, schienen bei ihr nicht zu wirken. Warum wich sie nicht zurück vor Schreck? Sicher hatte sie genug von meiner dunklen Seite gesehen um die Gefahr zu bemerken, aufmerksam wie sie war.
Ich kam nicht dazu zu sehen, ob meine Warnung den gewünschten Effekt erzielt hatte. Mr. Banner bat um die Aufmerksamkeit der Klasse und sie wandte sich von mir ab. Sie wirkte erleichtert über die Unterbrechung, also hatte sie es vielleicht unterbewusst verstanden.
Ich hoffe, sie hatte.
Ich bemerkte die Faszination die in mir aufkeimte und versuchte sie zu entwurzeln. Ich konnte es mir nicht leisten, Bella Swan interessant zu finden. Oder besser, sie konnte es sich nicht leisten. Und trotzdem sehnte ich mich schon nach einer weiteren Chance um mit ihr zu reden. Ich wollte mehr über ihre Mutter wissen, ihr Leben bevor sie hierherkam, ihr Beziehung zu ihrem Vater. All die unbedeutenden Details die ihren Charakter deutlicher hervorbringen würden. Aber jede Sekunde, die ich mit ihr verbrachte, war ein Fehler, ein Risiko dass sie nicht eingehen sollte.
Gedankenverloren warf sie ihre Haare herum genau in dem Moment als ich mir erlaubte zu atmen. Eine konzentrierte Welle ihres Duftes traf mich tief im Rachen.
Es war wie am ersten Tag – wie die Abrissbirne. Der Schmerz der brennenden Trockenheit ließ mich schwindeln. Ich musste wieder den Tisch umklammern um mich auf meinem Stuhl zu halten. Dieses Mal hatte ich etwas mehr Kontrolle. Wenigstens machte ich nichts kaputt. Das Monster knurrte in mir, genoss aber nicht den Schmerz. Er war zu fest angebunden. Für den Moment.
Ich stellte das Atmen vollständig ein und lehnte mich so weit von dem Mädchen weg, wie ich konnte.
Nein, ich konnte es mir nicht leisten, sie faszinierend zu finden. Je interessanter ich sie fand umso größer war die Chance, dass ich sie töten würde. Ich hatte heute schon zwei kleine Ausrutscher gehabt. Würde ich einen dritten machen, der nicht klein war?
Sobald die Glocke klingelte, floh ich aus dem Klassenraum – vermutlich zerstörte ich dadurch den kleinsten Eindruck von Höflichkeit den ich fast aufgebaut hatte während dieser Stunde. Wieder keuchte ich an der frischen Luft als wäre sie eine heilende Essenz. Ich beeilte mich, so viel Abstand wie möglich zwischen mich und das Mädchen zu bringen.
Emmett wartete vor unserem Spanischkurs auf mich. Er las meinen wirren Gesichtsausdruck für einen Moment.
Wie lief es? Wunderte er sich wachsam.
„Niemand ist gestorben,“ murmelte ich.
Na das ist doch was. Als ich sah wie Alice das Ende der letzten Stunde geschwänzt hat, dachte ich schon…
Als wir den Klassenraum betraten sah ich seine Erinnerung an kurze Zeit vorher, die er durch die offene Tür seiner letzten Unterrichtsstunde gesehen hatte: Alice lief eilig und ausdruckslos über den Platz in Richtung Wissenschaftsgebäude. Ich fühlte die Erinnerung an sein verlangen aufzustehen und zu ihr zu gehen und dann seine Entscheidung zu bleiben. Wenn Alice seine Hilfe brauchte, würde sie fragen…
Ich schloss meine Augen vor Ekel und Abscheu während ich mich auf meine Stuhl fallen lies. „Ich hatte nicht bemerkt, dass es so knapp war. Ich hätte nicht gedacht, ich würde… ich sah nicht, dass es so schlimm war,“ flüsterte ich.
War es auch nicht, beruhigte er mich. Niemand ist gestorben, richtig?
„Richtig,“ quetsche ich durch meine Zähne. „Diesmal nicht.“
Vielleicht wird es leichter.
„Klar.“
Oder, vielleicht tötest du sie auch. Er zuckte mit den Schultern. Du wärst nicht der erste, der es vermasselt. Niemand würde dich zu hart verurteilen. Manchmal riecht ein Mensch einfach zu gut. Ich bin beeindruckt, dass du so lange durchhältst.
„Das ist nicht gerade hilfreich, Emmett!“
Ich war empört darüber, dass er einfach so akzeptierte, dass ich das Mädchen töten würde, dass das irgendwie unumgänglich war. War es etwa ihre Schuld, dass sie so gut roch?
Ich weiß noch, als es mir passierte…, er erinnerte sich und nahm mich mit sich ein halbes Jahrhundert zurück, auf eine Landstraße in der Dämmerung, wo eine Frau mittleren Alters ihre trockene Wäsche abnahm, die zwischen zwei Apfelbäumen an einer Leine hing. Der Duft von Äpfeln hing schwer in der Luft – die Ernte war vorüber und die überreifen Früchte lagen auf dem Boden verteilt, die Druckstellen ließen ihren Duft in dicken Wolken auslaufen. Ein frisch gemähtes Feld bildete den Hintergrund zu diesem Duft, harmonisch. Er ging die Landstraße entlang, nahm die Frau überhaupt nicht war auf seinem Botengang für Rosalie. Der Himmel über ihm war lila, im Westen orange. Er wäre den verschlängelten Weg weitergegangen und es hätte keinen Grund gegeben, sich an diesen Nachmittag zu erinnern, abgesehen von der leichten Briese, die die weißen Laken aufblähte wie Segel im Wind und die den Duft der Frau über Emmetts Gesicht fächerte.
„Ah,“ grummelte ich leise. Als ob die Erinnerung an meinen eigenen Durst nicht schon genug wäre.
Ich weiß. Ich hab’s nicht mal eine Sekunde ausgehalten. Ich hab nicht mal darüber nachgedacht zu wiederstehen.
Seine Erinnerungen wurden zu detailiert für mich um sie noch länger zu ertragen.
Ich sprang auf meine Füße, meine Zähne so hart aufeinander gepresst, dass sie durch Stahl hätten schneiden können.
„Esta bien, Edward?“ fragte Senora Goff, erschrocken von meiner plötzlichen Bewegung. Ich konnte mein Gesicht in ihren Gedanken sehen und wusste, dass ich alles andere als gesund aussah.
„Me perdona,“ murmelte ich, als ich zur Tür stürmte.
„Emmett – por favor, puedas tu ayuda a tu hermano?“ fragte sie und gestikulierte hilflos in meine Richtung, als ich aus dem Raum hastete.
„Klar,“ hörte ich ihn sagen. Und dann war er direkt hinter mir.
Er folgte mir zur anderen Seite des Gebäudes, wo er mich einholte und mir seine Hand auf die Schulter legte.
Ich schüttelte seine Hand mit unnötiger Gewalt ab. Es hätte sämtliche Knochen in einer menschlichen Hand gebrochen und sogar noch die Knochen des Arms der daran hing.
„Tut mir leid, Edward.“
„Ich weiß.“ Ich atmete ein paarmal tief ein und aus um einen klaren Kopf zu bekommen und meine Lungen zu reinigen.
„Ist es genauso schlimm?“ fragte er und versuchte nicht an den Duft und den Geschmack aus seinen Erinnerungen zu denken, nicht gerade erfolgreich.
„Schlimmer, Emmett, schlimmer.“
Für einen Moment war er ganz still.
Vielleicht…
„Nein, es wäre nicht besser, wenn ich es einfach hinter mich bringe. Geh zurück in die Klasse, Emmett. Ich möchte allein sein.“
Er drehte sich ohne ein weiteres Wort und ohne einen Gedanken um und ging zurück. Er würde der Spanischlehrerin sagen, dass ich krank war, oder dass ich schwänzte, oder dass ich ein gefährlicher, unkontrollierbarer Vampir war. War seine Entschuldigung wirklich von Bedeutung? Vielleicht kam ich nicht mehr zurück. Vielleicht musste ich gehen.
Ich ging zurück zu meinem Auto um auf Schulschluss zu warten. Um mich zu verstecken. Schon wieder.
Ich hätte die Zeit nutzen sollen um einen Entscheidung zu treffen, oder um meine Entschlossenheit zu verstärken, stattdessen, wie ein Süchtiger, erwischte ich mich dabei wie ich die Gedanken, die vom Schulgebäude wiederhallten durchsuchte. Die bekannten Stimmen traten deutlich hervor, aber ich war im Moment nicht interessiert an Alices Visionen oder Rosalies Beschwerden. Ich fand Jessica, aber das Mädchen war nicht bei ihr, also suchte ich weiter. Mike Newtons Gedanken erregten meine Aufmerksamkeit und ich fand sie letztendlich im Sportunterricht. Er war unglücklich weil ich heut in Biologie mit ihr gesprochen hatte. Er grübelte über ihre Reaktion als er das Thema angesprochen hatte…
Ich hab ihn ehrlichgesagt noch nie mit jemandem mehr als nur ein paar Wörter wechseln sehen. Natürlich entschloss er sich Bella int

And so the Lion fell in love with the Lamb!

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